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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ist in
Ihren Augen moralisch zu nachgiebig, eskapistisch, ein billiger
Weg, um sein Leben nicht planen und die entsprechenden
Entscheidungen treffen zu müssen.«
    »Es kommt nicht darauf an, wovon ich viel oder wenig
halte, Doktor. Ich bin wegen der Befreiung« – er
merkte, daß er beinahe von meinen Sünden gesagt
hätte, die alte katholische Phrase stieg von
wer-weiß-woher in seiner Müdigkeit auf –
»von meiner multiplen Sklerose hergekommen, und sie ist
immerhin besser geworden. Ich kann mich nicht beklagen. Wollen
Sie mir nun sagen, wohin Brekke gegangen ist und wann er
zurückkommt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ist das die Wahrheit?«
    Shahid wandte den Kopf, und der Blick seiner dunklen Augen
verschränkte sich mit dem von Joe. Joe merkte, wie seine
Worte geklungen hatten.
    »Verzeihung. Danke, Doktor.«
    »Einen Augenblick noch, Mister McLaren.« Joe
drehte sich wieder um. Prokop kam vom See her auf sie zu. Die
Anstrengung, die richtigen Worte zu wählen, zerrte an
Shahids Gesicht.
    »Die Sache mit dem Eskapismus ist viel komplizierter,
als Sie glauben, Mister McLaren. Entscheidungen zu treffen auch.
Manchmal kann es sein, daß unsere Entscheidungen für
uns von Mächten getroffen werden, die wir nicht verstehen
können, und wenn wir uns dem beugen, weichen wir damit nicht
der moralischen Verantwortung aus, sondern wir akzeptieren
sie.«
    »Erzählen Sie das den Gaisten«, sagte
Joe.
    Er ließ Prokop stehen, ging mit raschen Schritten auf
das Gebäude zu und langte als erster beim Fahrstuhl an. Sein
Zimmer kam ihm trotz der Klimaanlage eng und stickig vor.
Caroline hatte ihr Fenster aufgestemmt, um frische Luft
hereinzulassen; jetzt war er zum erstenmal versucht, das gleiche
zu tun. Statt dessen legte er sich aufs Bett, ohne die stickige
Luft, Prokops beharrliches Klopfen an seiner Tür oder das
Bild von Caroline vor seinem geistigen Auge zu beachten, wie sie
in ihren Wagen stieg, um zu Catherine zu fahren. Pirelli war ihm
eine Menge Erklärungen schuldig, dachte Joe: über das
Virus, über das Testprogramm, über seine
melodramatische Botschaft in bezug auf Brekke. Eine Menge
Erklärungen. Joe hatte nicht vor, irgendwas zu tun, irgendwo
hinzugehen oder mit irgend jemand zu sprechen, ehe Pirelli nicht
später an diesem Vormittag eintraf, um sie ihm zu geben.
     
    Jeff Pirelli stand in der Eingangshalle und redete auf die
Frau in der Anmeldung ein. Joe sah, daß Pirelli in den zwei
Monaten, seit er den Datenscanner zuletzt gesehen hatte, Gewicht
zugelegt hatte. Sein Gesicht war voller, die Haut spannte sich
glatt über Wangen, die noch nicht zu Hängebacken
abgesackt waren, die braunen Augen lagen ein wenig tiefer in
pinkfarbenen Fleischwülsten. Er nahm allmählich das
Aussehen eines stark eingeölten Buddhas an, dachte Joe, bis
er sich ins Gedächtnis rief, daß Pirelli wegen der
Anspannung, unter der er stand, zu viel aß. Eine Erinnerung
blitzte auf: er und Pirelli, fünfzehn Jahre alt, über
eine uralte Tastatur und einen Monitor aus den Neunzigern
gebeugt, ein Stück Pizza in der einen und eine Cola in der
anderen Hand, die sie sich beide mit der stetigen, gedankenlosen
Versunkenheit von Boa Constrictors zu Gemüte führten.
Es irritierte Joe, daß sich diese Erinnerung nicht anders
anfühlte als die vorherige Momentaufnahme von dem Duell im
Bois de Boulogne.
    »Grüß Gott, Herr Anwalt«, sagte
Pirelli. In einer Hand trug er eine Aktentasche aus italienischem
Leder, in der anderen einen Computerkoffer, an dem Messingteile
glänzten. Joe spürte, wie er lächelte.
    »Buon giorno, paisano.«
    »Kein Italienisch – man kann keinem einzigen von
deren gottverdammten Bytes trauen«, sagte Pirelli.
»Du siehst schrecklich aus, alter Freund.«
    »Und du siehst wie ein Koffervertreter aus.«
    Pirelli lachte. »Also, mit wem rede ich jetzt, nachdem
die Zeitmaschinen bei Woolworth ausverkauft sind? Mit
Machiavelli? Werden Anwälte noch schwafliger, wenn sie
rausfinden, daß sie früher andere Anwälte
waren?«
    »Mannomann«, sagte Joe. »War ‘ne irre
Zeit.«
    »Ja, ich seh’s jetzt vor mir. Eine neue
Anwaltsfirma: Machiavelli, Cranmer, Nixon und McLaren. >Lassen
Sie mich darüber mit meinem Seniorpartner sprechen; er ist
gerade nicht an seinem Schreibtisch, weil er sich ums Fegefeuer
drückt.<«
    »Das dritte Vatikanische Konzil hat das Fegefeuer
abgeschafft.«
    »Verdammt! Und ich hatte schon meine
Reservierung!«
    Die Frau in der

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