Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
Vom Netzwerk:
haben versagt. Es ruht kein Segen auf dieser Bekehrung, will mir scheinen. Vielleicht gestattet Gott den Heiden, einen anderen Weg des Glaubens zu gehen?«
    Das war im höchsten Maße ketzerisch, und Nicholas wusste das.
    »Nein, die Heiden müssen bekehrt werden. Nicht um unsertwillen, sondern um ihrer selbst willen. Wir sind es der Welt schuldig, das Evangelium allen Menschen zu verkünden, denn es gleicht einer Medizin, die gesund macht, auch wenn sie dem Kranken bitter schmeckt. Die Welt muss gesunden, Nicholas, denn sie ist siech und voller Fäulnis.«
    Nicholas dachte an die Bettlerscharen vor den Kirchentüren. Konnte es das geben, eine Welt ohne Bettler? Eine Welt ohne Armut und Hunger? Ja, überlegte er, wenn alle im Geiste Jesu lebten, dann könnte die Welt so sein. Aber solange Satan stark war in ihr, solange er seinen Thron bereitet hatte inmitten der Kirche, solange würde sich nichts ändern. Wer aber sollte Satans Thron stürzen?
    »Ihr sprecht das aus, was mich so oft bewegt«, erwiderte Nicholas. »Aber gleichzeitig verwirrt Ihr mich. Ich bin noch ein Kind. Warum predigt Ihr nicht selbst auf den Marktplätzen? Euch werden sie zuhören, Euch werden sie folgen.«
    Der Mönch schüttelte den Kopf. »Die Wanderprediger sind zu einer Landplage geworden. Jeder von ihnen meint, Gott habe ihn auserwählt, und plärrt den Leuten die Ohren voll. Sie hören nicht mehr hin, sie wollen von ihren Predigten nichts mehr wissen, denn sie wurden stets um jede Hoffnung betrogen. Jetzt haben sie keine mehr. Weder von der Kirche noch vom Adel erwarten sie eine Änderung der Verhältnisse. Sie brauchen eine völlig neue Idee, die sie begeistert. Und neue Ideen werden nicht von den Alten, Satten und Trägen geboren.«
    Plötzlich packte der Mönch Nicholas an den Schultern und durchbohrte ihn mit seinen Blicken, als sei Gottes heiliger Zorn über ihn gekommen. »Die Hoffnung muss von den Kindern kommen, und du, Nicholas, du bist ein Kind! Du musst das Kreuz aufrichten, und andere werden dir folgen. Es muss einen Kreuzzug der Unmündigen geben, die, bewaffnet allein mit ihrer Unschuld und ihrem Glauben, ins heilige Land ziehen!«
    »Ich?« Nicholas saß da wie betäubt und ließ sich schütteln. »Ich soll einen Kreuzzug anführen? Weshalb ich?«
    »Kennst du das Gleichnis vom Senfkorn? Es ist das kleinste aller Samenkörner, doch kaum ist es in der Erde und wird begossen, so wächst es heran zu einem Baum, in dessen Zweigen die Vögel nisten. Du bist das Senfkorn, das der Herr pflanzen will. Glaubst du daran, Nicholas?«
    Als guter Christ hätte Nicholas das gern bejaht, doch das Ja blieb ihm in der Kehle stecken.
    Der Mönch gab Nicholas frei und schüttelte gutmütig den Kopf. »Weshalb zweifelst du noch, obwohl Gott dir ein Zeichen gegeben hat? Hat er dir am Himmel nicht das Kreuz gezeigt? Das Kreuz, das du den anderen vorantragen sollst?«
    Nicholas erbleichte. Wenn der Mönch von dem Kreuz wusste, dann konnte es kein Traum gewesen sein, dann – er rang nach Atem – dann waren auch die Wundmale keine Einbildung gewesen. Dann war der Mönch …?
    Nicholas schüttelte ein jähes Schluchzen. Langsam ging er vor ihm in die Knie und umklammerte seine Fußgelenke. »Bist du es, Herr?«
    Statt einer Antwort strich ihm der Mönch über den Scheitel.
    »Vergib mir«, wimmerte Nicholas, »ich habe gezweifelt, doch jetzt glaube ich. Herr, sage mir, was ich tun soll!«
    »Steh auf, Nicholas. Gehe zum Schrein der Heiligen Drei Könige und verkündige: Jeder, der sich aufgerufen fühlt, soll sich dem Kreuzzug der Kinder anschließen. Tausende werden kommen und abermals Tausende, und du wirst sie in das heilige Land führen. Die Wasser des Mittelmeeres werden sich vor euch teilen, wie Gott das Wasser geteilt hat vor Moses, als er vor den Ägyptern floh, und trockenen Fußes werdet ihr hinübergehen. Die Heiden werden sich wegen dieses Wunders entsetzen und sich bekehren lassen, denn sie werden Gott erkennen. Gemeinsam mit euren arabischen Brüdern werdet ihr dann in Jerusalem die Messe feiern. Niemand wird verjagt, niemand unterworfen, weil alle gleichen Sinnes sein werden. Halleluja.«
    »Amen«, schloss Nicholas mit zitternder Stimme.
    ***
    Die Sonne vertrieb die letzten Nebelschwaden über den Rheinwiesen. Vor dem Hahnentor hatte sich bereits eine Menge Volks eingefunden, die Einlass begehrte. Die Bauern aus der Umgebung hatten sich schon in der Morgendämmerung eingefunden. Ihre hoch bepackten hölzernen Gefährte knarrten

Weitere Kostenlose Bücher