Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Nadelspitzen auf meiner Haut. Ich versuche, nicht zu blinzeln, weil ich sonst den Weg verliere. Den Weg ins Lager der Werwölfe, den Haddrice mich mit verbundenen Augen gehen ließ und Thursen sehend zurück.
Wenn ich nur die Richtung einhalte, ist der genaue Weg nicht wichtig. Die Wölfe haben bestimmt nach der letzten Nacht rund ums Lager Wachen ausgesandt, die den Wald durchstreifen. Selbst wenn ich am Lager vorbeilaufe, ich bin sicher, die Wachen werden mich finden.
Das schneebestreute Laub quietscht unter meinen Stiefelsohlen. Ich atme Eisluft. Es ist so finster hier. Die Schatten fressen die Farben und lassen den Wald schwarzgrau zurück. Ich wünschte, ich könnte umkehren. Doch meine Wut treibt mich an. Ich muss mit Thursen sprechen, die ganze Wahrheit endlich von ihm selbst erfahren. Stapfe weiter, knicke mit dem Fuß um, fange mich wieder.
Holzfeuerrauch steigt mir in die Nase. Ich kann noch nichts vom Lager sehen, aber jetzt weiß ich die Richtung. Und noch immer schüttet der Himmel Schneekörner auf mich. Ich leuchte die Umgebung ab, mache mich auf herumstreunende Gestalten, Wachen des Lagers gefasst, doch kein Wolf hält mich auf. Keine Pfoten, knisternd im Schnee. Ich höre nichts als meine eigenen Schritte. Ziehe die Kapuze noch weiter ins Gesicht, halte meine Taschenlampe auf den Boden gerichtet, um nicht zu stolpern, und folge meiner Nase über umgefallene Stämme. In der Luft hängt die Ahnung vom Geruch nach nassem Fell. Und noch immer bin ich keinem der Werwölfe begegnet, die das Lager bewachen. Ich dränge mich durch Zweige von kahlen Büschen und bin plötzlich, ungewarnt, mitten unter ihnen.
Hinter einem Vorhang aus herabrieselndem Schnee verborgen sitzen Wölfe und Menschen um das Feuer herum. Flammenlichter tanzen über die dunklen Gestalten. Mauriks, er trägt einen Verband um den Arm, reibt Fath etwas in den Pelz. Er sieht mich an, aber unterbricht seine Tätigkeit nicht. Haddrice, die schlanke Wölfin, springt auf und betrachtet mich in steifbeiniger Drohstellung. Die anderen Wölfe hinter dem Feuer sind für mich nur als dunkle Schemen im Schneegestöber zu sehen. Als Haddrice zur Seite tritt, sehe ich Norrock. Der schwarze Wolf liegt auf der Seite. Im Fell des Hinterbeins hat er eine kahle, rohe Stelle, größer als meine Hand. Ich weiß, wie Elias’ Griff brannte. So sieht es also aus, wenn die Shinanim Ernst machen. Elias hat nicht gelogen. Es gab einen Kampf. Norrock dreht den Kopf, sieht mich an, zieht misstrauisch meine Witterung in die Nase. Wirft den Kopf zurück in einem kurzen Kläffer.
Da kommt er.
Hinter einer Zeltplane hervor humpelt Thursen auf uns zu, schmutzig, aber ohne blutige Verbände. Thursen. Ich richte meine Taschenlampe auf ihn, doch das Licht ist schwach. Aufrecht, mit geradem Blick, kommt er mir entgegen. Die Unsicherheit, die Sorge und die Zerrissenheit der letzten Tage hat er abgestreift. Sie haben einer Entschlossenheit Platz gemacht, die mich würgen lässt. Thursen sieht aus, als habe er seinen Platz endlich gefunden, doch es ist der falsche Platz! Wie kann er mit den Wölfen jagen? Ich lasse meine Lampe fallen, laufe auf ihn zu und packe ihn mit beiden Händen beim Mantel. «Was war das für eine Menschenjagd?», herrsche ich ihn an.
Haddrice knurrt hinter mir. Warnend.
«Halt du dich da raus!», fauche ich die Wölfin über die Schulter an. Ich will eine Antwort! «Also, Thursen, was ist?»
«Dann bist du also bei Elias geblieben? Man sollte sich beide Seiten anhören, bevor man urteilt.»
Ich lasse ihn los, grabe seinen verdammten Schlüssel aus meiner Tasche und halte ihn ihm hin. «Ich bin zu dir nach Hause gegangen, doch du warst nicht da!»
«Ich habe dir einen Zettel geschrieben.»
«Elias hat mich auf dem Weg zur Schule abgefangen. Stimmt es etwa nicht, dass ihr wieder einen Menschen getötet habt?»
Thursen nickt, lässt seine Schultern sinken. «Norrock, erklärst du ihr, was war, oder soll ich das machen?», fragt er den riesigen, verletzten Wolf, der sich streckt, Mensch wird.
«Was?», fragt Norrock, steht auf und zieht seinen Verband am Bein gerade.
«Dein Kampf, willst du Luisa selbst davon erzählen?»
«Mach du», kommt Norrocks Stimme heiser und mühsam. «Ich war lange genug Mensch heute, mir reicht es.» Norrock, schon wieder Wolf, streckt sich am Feuer aus.
Thursen will wie immer nach meiner Hand greifen und stoppt mitten in der Bewegung. «Lass uns einen Platz suchen, an dem wir reden können», sagt er. «Und dann
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