Schattensturm
eigentliche Grund gewesen, an diesem regnerischen Abend zu Cintorix’ Halle zu reiten. Er hatte nach einer Eskorte gesucht. Aber irgendwie hatte er die Lust verloren, mit Magnus oder Majestus zu reiten … Der Mann nickte und verschwand im Regen und der Dunkelheit.
Es war mühsam, den betrunkenen Bretonen in der Dunkelheit durch die schlammigen Zeltstraßen in den bretonischen Abschnitt des Lagers zu bringen. Der Mann weinte und brabbelte wirres Zeug vor sich hin, völlig fertig mit der Welt. Mehrmals glitt er aus, und es war nicht einfach, ihn im Matsch wieder auf die Beine zu bringen. Als sie endlich am Ziel ihres Marsches waren, war Baturix’ Kleidung beinahe ebenso dreckig wie die Kenans.
Als ein weiterer Blitz die Dunkelheit zerriss, sah er direkt vor sich, nur drei Meter entfernt, einen Mann mitten auf dem Weg stehen. Er trug einen schweren Umhang mit einer Kapuze auf dem Kopf und schien einfach so auf der Straße zu warten. Baturix erschrak, seine Hand ließ den Bretonen los und ging zum Heft seines Schwerts. Kenan ging zu Boden wie ein nasser Sack.
»Wer seid Ihr?«, rief Baturix und blieb stehen.
Der Mann ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ein Bretone«, erklärte er schließlich.
Baturix fluchte. Ihm war kalt, eisig kalt sogar, ein langer Ritt mitten durch die Nacht stand ihm noch bevor, mit Magnus und Majestus hatte er Dinge in Bewegung gesetzt, deren Auswirkungen er noch nicht abschätzen konnte, und noch dazu hatte ihn das plötzliche Auftauchen des Mannes mehr erschreckt, als er zuzugeben bereit war. Seine Nerven lagen blank. Und er war absolut nicht bereit dazu, die Spielchen dieses Bretonen mitzuspielen. Wenn er nur ein gewöhnlicher Krieger war, hatte er nichts mehr hier draußen verloren! »Verschwinde von der Straße, Bretone!«, rief er zurück. »Es ist Ausgangssperre!«
»Ausgangssperre«, erwiderte der Unbekannte nachdenklich. »Ja, Ausgangssperre, ich erinnere mich. Aber sagt mir, Herr«, – Baturix atmete schon auf, der Mann hatte ihn als einen Ranghöheren erkannt. – »wie kommt es, dass diese Ausgangssperre nur für uns Bretonen gilt und nicht für Euch Helvetier und Waliser?«
»Das ist Blödsinn, und das weißt du ebenso wie ich!« Baturix war nun
richtig
wütend. Die Ausgangssperre galt für alle gleichermaßen und konnte nur von den Druiden und ihren Hauptmännernignoriert werden. Wie kam der Mann überhaupt darauf, so etwas zu behaupten?
Ja, wie kommt er darauf?
, dachte Baturix noch einmal. Ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken. Würde er sich des Nachts in den strömenden Regen stellen, um einem Ranghöheren blödsinnige Beschuldigungen an den Kopf zu werfen? Baturix schüttelte den Kopf. Es musste mehr dahinter stecken. Er hatte die enge Verbundenheit zwischen Cintorix und dem Waliserhäuptling Medredydd schon vor einiger Zeit bemerkt, und deren beider Stämme waren es auch, die den Wachdienst im Lager unter sich aufteilten. War es tatsächlich so, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wurde?
»Blödsinn«, wiederholte der Bretone nachdenklich das Wort. »Ja, richtig. Blödsinn. Deshalb taucht Ihr hier auch auf, mitten in der Nacht, und bringt uns einen unserer Männer zurück, windelweich geprügelt, wie es aussieht, und hofft darauf, dass wir still in unseren Zelten bleiben und uns das bieten lassen.« Er spuckte aus.
»Hör zu.« Was auch immer hier vorging, Baturix hatte keine Zeit dafür. Er hatte einen Auftrag zu erledigen. »Dein Mann hier, Kenan, war betrunken. Ich habe ihm kein Haar gekrümmt, und –«
»Natürlich!« Beißender Sarkasmus klang aus seiner Stimme. »Er ist in seinem Rausch
gefallen
und hat sich
dabei
so stark verletzt. Ich
verstehe
!«
»Du verstehst gar nichts!«, giftete Baturix.
Aber er irrte sich. Er irrte sich in der Person. Er selbst war es, der gar nichts verstanden hatte, und das wurde ihm klar, als er hinter sich im Schlamm hastige, schmatzende Schritte hörte. Der Mann hatte ihn hingehalten, bis sein Kumpan in seinem Rücken war. Baturix versuchte herumzukommen, seine Hand riss das Schwert aus der Scheide, als ein gleißendes Feuerwerk vor seinen Augen explodierte.
Die Wucht des Schlages war so groß, dass es ihn von den Füßen riss. Sein Helm bewahrte ihn zwar vor Schlimmerem, aber er blieb dennoch für einen Moment benommen liegen, bis sich der Nebel über seinen Sinnen wieder verzogen hatte. Doch dawaren sie bereits über ihm, drei Gestalten, nein vier, oder waren es fünf? Sie traten nach ihm, nach seinen Beinen,
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