Schattensturm

Dann wandte er sich zu Kollborn und seinen Männern und meinte: »Kommt mit!«
    Gefolgt von den früheren Fallschirmjägern eilte er durch Regen und Dunkelheit zurück zu dem verlassenen Gebäude. Vielleicht hatte er dort doch etwas übersehen? Es schien jedenfalls erfolgversprechender, als weiter durch noch benutzte Anlagen zu streunen und irgendwelchen ahnungslosen Technikern erklären zu müssen, was er hier zu suchen hatte. Er erhoffte sich dennoch nicht viel davon. Vielleicht hatte eine der anderen Gruppen mehr Glück – insgesamt waren es fünf, die das Gelände des Instituts durchstreiften. Drei davon bestanden aus Herwarths Männern, die vierte aus den beiden Kirchenleuten sowie Tönnes und seinen Soldaten.
    Schließlich erreichte er erneut das Gebäude. Ein fahles weißes Schild hing über dem Eingang und sagte Wolfgang, dass es sich um
HERA – Halle West
handelte. Die Tür stand von seinem vorherigen Einbruch noch offen. Er konzentrierte sich kurz und rief die Magie, um seine Wahrnehmung zu schärfen. »Wartet hier!«, flüsterte er Kollborn zu, der sich mit seinen Männern im Schatten eines Gebüschs versteckte.
    Die Tür quietschte melodramatisch, als sie hinter Wolfgang zurückschwang.Es war dunkel, doch dieses Mal nicht annähernd so dunkel wie vorhin, als er nur mit der Taschenlampe hineingeleuchtet hatte. Nun sah er durch die Kombination von Taschenlampe und verstärkter Wahrnehmung fast so gut wie am helllichten Tage.
    Das Gebäude stand leer. Sämtliche Möbel waren ausgeräumt, die Jalousien geschlossen, stellenweise fehlten sogar die Neonröhren in den Fassungen. Wolfgang beugte sich zu den Spuren auf dem Boden. Der Schuhgröße nach zu urteilen war es ein kleiner, maximal mittelgroßer Mann gewesen, der sie verursacht hatte, mit schmutzigen Springerstiefeln, was seinen Verdacht auf einen Hausmeister bekräftigte. Sie waren – und das bemerkte er erst jetzt – verschieden abgelaufen, ein Paar mehr auf der Innenseite des Fußes, das andere stärker am Absatz als am Vorfuß. Auch das bedeutete nicht viel mehr, als dass es zwei verschiedene Hausmeister gab. Daneben gab es auch Rattenspuren, worauf er inbrünstig darum bat, dies als Beweis dafür nehmen zu können, dass er auf der richtigen Fährte war. Doch natürlich bedeutete auch das nichts – Ratten waren überall und selbstverständlich auch in einem verlassenen Gebäude. Wolfgang richtete sich wieder auf und ging weiter.
    Was auch immer HERA gewesen war, es war anscheinend bequem vom Büro aus zu kontrollieren gewesen, denn im Schein seiner Taschenlampe entdeckte er eines nach dem anderen. Vor manchen hingen noch die Namensschilder der Menschen, die früher hier gearbeitet hatten, allesamt gleichermaßen uninteressant. Schließlich wurde das Gefühl, auf dem falschen Weg zu sein, übermächtig, so dass er sich umdrehte und zurück zum Ausgang ging. Es fiel ihm ohnehin schwer, sich unter einem Bürokomplex wie diesem hier eine unterirdische Fabrik oder eine physikalische Versuchsanstalt vorzustellen.
    #Wolf für Fuchs#, krächzte sein Funkgerät.
Fuchs
war der Codename eines von Herwarths Jarlen.
    »Wolf hört.«
    #Die Bullen kommen.#
    Das auch noch!
Wahrscheinlich hatte einer der Physiker sie gerufen. »Wie viele?«
    #Ein Haufen. Komischerweise hat keiner von ihnen Blaulicht oder Sirenen an.#
    Wolfgang ging noch einmal vor einer der Spuren in die Knie und grübelte nach, was Fuchs’ Worte bedeuteten.
Keine Sondersignale
… Das hieß, dass sie nicht in offiziellem Auftrag hier waren. Die Ratten hatten sie geholt. Aber warum? Waren sie etwa doch auf der richtigen Fährte?
    »Verstanden«, murmelte Wolfgang in das Sprechgerät, während er weiterhin nachdenklich die Spur anstarrte. Die Spur, die aus dem Gebäude führte, war von der Spur, die in das Gebäude führte, verwischt.
Wer auch immer hier gelaufen ist, er ist zuerst von innen gekommen und dann wieder nach innen verschwunden …
    #Wolf?#, fragte Fuchs nach.
    »Ich glaube, ich habe etwas. Lenk die Polizei ab.«
    #Was?#
    »Tu, was du willst, lass dir von den anderen Gruppen helfen, aber lenke sie ab! Ich bin auf etwas gestoßen! Gib mir fünf Minuten!«
    #Verstanden. Fuchs, Ende.#
    Wolfgang steckte sein Funkgerät weg, als er die Eingangstür hörte. Schnell ging er in einem Büro in Deckung.
    »Engelhardt?« Kollborns Flüstern war in den leeren Korridoren und durch Wolfgangs verstärkte Sinne deutlich zu hören.
    »Hier!«, gab Wolfgang zurück.
    »Polizei ist auf dem Weg hierher.