Schattenturm
deprimierende Wahrheit vor Augen führten. Rasch beendete er das Gespräch. »Sie arbeiten noch nicht lange an dem Fall, Marcy. Studieren Sie die Akten in aller Ruhe. Wir sollten nichts überstürzen.«
Marcys Lächeln erlosch. Nachdem Parnum ihr weitere Anweisungen erteilt hatte, ging sie zu der aufgeschlagenen Akte auf ihrem Schreibtisch und dem gelben Notizblock daneben. Parnum folgte ihr, schlug die Akte zu und klemmte sie sich unter den Arm.
Der Verhörraum im Polizeirevier von Stinger’s Creek war klein und fensterlos. Nur eine schummrige Glühbirne mit einem verstaubten grünen Lampenschirm an der Decke spendete Licht und warf graue Schatten.
»Wollen Sie hier warten und mit dem Chef sprechen?«, fragte Marcy.
»Ich will mit dem Chef sprechen, Ma’am, ja. Aber ich will mit ihm allein sprechen.« Mit dem Rücken zur Tür setzte Duke Rawlins sich auf einen Metallstuhl, spreizte die Beine und schob sein Becken nach vorn. Marcy Winbaum drehte sich um und ging hinaus. Parnum stand in der Tür und starrte auf den Mann, der dort saß. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Mit einem Taschentuch wischte er sie weg.
»Erinnern Sie sich an mich?« Duke drehte sich um und stützte einen Ellbogen auf die Stuhllehne. Parnum schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, bis er hörte, dass sie ins Schloss fiel.
Lächelnd hob Duke die Augenbrauen. »Wer bin ich noch gleich? Ihr kleiner Hund, Ihr kleiner Homo, Ihr kleiner Junge, Ihre Hure mit dem kleinen Arsch? Ach ja, und Ihr störrisches Pferd?«
»Vor einer Stunde habe ich einen Bericht vom Labor bekommen«, zischte Parnum. »Die Übereinstimmung zwischen der Farbe auf dem Schuh von Jane Doe und einem Dodge Pick-up konnte nachgewiesen werden. Und ich kenne nur ein solches Fahrzeug hier in der Gegend, und das steht bei Ihnen auf dem Hof.«
Duke schaute Parnum ungerührt an.
Parnum schlug mit der Faust auf den Tisch. »Kapieren Sie nicht? Andere wissen Bescheid! Marcy, das Labor … Wir haben Beweise!«
»Okay«, sagte Duke, stützte sich auf die Hände und beugte sich über den Tisch. »Dann sorgen Sie dafür, dass die verdammten Beweise verschwinden.«
Parnum zuckte zusammen. »Sind Sie verrückt? Ich kann nicht …«
»Lassen Sie mich nachdenken. Was ist mit Mrs Parnum und den Parnum-Babys? Interessieren die sich nicht für Ihr Geheimnis? Was ist mit Reverend Ellis? Was ist mit der erstaunlichen Anmut des Baptistenkirchenchors?«
Parnum schwieg einen Moment. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte er schließlich.
»Nein. Sie werden alles tun, was Sie tun können.«
»Sie haben fünf Frauen ermordet.«
»Ach ja?«
Parnum schluckte.
»Wagen Sie es ja nicht, mich zu verurteilen, Sie verdammter Scheißkerl.«
Parnum klammerte sich an die Tischplatte und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an.
»Sie waren am Freitagabend da.«
»Wenn ich Freitagabend da gewesen wäre, wie hätte ich dann meinen ganzen Einsatz gegen Ihren Drilling Siebener setzen können?«
»Ich würde niemals mit so einem wie Sie …«
»Sie würden nicht mit mir pokern ?« Duke schnaubte wütend. »Ich war ja nicht allein. Donnie Riggs war auch da. Wir hätten kein Bier gehabt, wäre Donnie nicht gewesen.«
»Du lieber Himmel. Donnie Riggs. Wir haben niemals …«
»Schätze, jetzt wird Ihnen einiges klar, Mister.«
»Du kranker Scheißkerl!«
»Ich?« Duke lachte laut.
»Ich bin über den Fall Rachel Wade im Bilde«, sagte Parnum. »Sie haben Ihren Onkel für sich in den Knast wandern lassen.«
Duke kniff die Augen zusammen. »Was? Sehe ich wie ein Richter aus? Oder wie die fetten Kerle, die in dem Fall ermittelt haben? Sie haben den Falschen verurteilt. Ich konnte nur eines tun – ihn unterstützen. Ich bin jeden Tag zur Verhandlung gegangen.«
»Setzen Sie sich, und hören Sie sich an, was wir noch über Ihre Morde herausgefunden haben.«
»Geben Sie Acht, was Sie sagen. Sie sollten keine Anschuldigungen vorbringen, die Sie nicht beweisen können.«
»Bill Rawlins war ein guter Mann«, sagte Parnum.
»Ich habe nie das Gegenteil behauptet.«
»Sein Taschentuch wurde im Mund des Mädchens gefunden …«
Parnum schüttelte den Kopf. »Sie sind schuld an seinem Tod.«
»Nein, verdammt! Mich trifft keine Schuld. Ich war nicht in der Zelle, als er eine Hand auf sein Herz gepresst hat und zusammengebrochen ist. Wäre ich da gewesen, hätte ich viel schneller eine Herzmassage vorgenommen als die Schwachköpfe, die ihn gefunden haben.«
»Sie sind
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