Schlangenkopf
Schloss.
Berndorf verharrt einen Augenblick. Es ist ein paar Tage her, da war ihm der Blick aufgefallen, mit dem Nezahat den toten Körper ihres Bruders betrachtet hatte. Vielleicht könnte er sich jetzt einen Reim darauf machen. Aber er will nicht. Es geht ihn nichts an. Er öffnet den Brief der Hausverwaltung, natürlich ist es die Kündigung, wer will schon einen Mieter im Haus haben, der Bombenleger und Schlapphüte anzieht wie das Licht die Motten!
Er legt den Brief zur Seite, vielleicht redet er mit Dingeldey darüber, vielleicht nimmt er die Kündigung aber auch einfach hin, als willkommenen Anlass, künftig die ganze brotlose Ermittlerei bleiben zu lassen und nach Blengow zu gehen und sich einen Hund zuzulegen, was immer die Katze Virginia oder andere Weibspersonen dagegen einzuwenden hätten! Im aktuellen Telefonbuch findet er unter Jakubeit, Elke keinen Eintrag, das hat er nicht anders erwartet. Zur Sicherheit greift er nach dem Telefonbuch vom Jahr davor, es ist eine blöde Angewohnheit von ihm, so etwas aufzuheben, aber im Telefonbuch von vor einem Jahr ist unter Jakubeit, Elke nicht nur eine Telefonnummer, sondern auch eine Adresse vermerkt, es ist eine Adresse in Berlin-Mitte, in der Linienstraße, das ist bei ihm um die Ecke, es ist die Straße, die am nördlichen Rand des Alten Garnisonfriedhofs vorbeiführt.
»Ich hab es gehört«, hatte der Junge gesagt. »Den Motor hab ich gehört. Wie er hochdreht. Und das Kreischen … als das Auto die Mauer entlang ist.«
Der Junge trug die rechte Hand in einem schmuddeligen Verband, der gar nicht richtig saß. Und es war am Alten Garnisonfriedhof gewesen, wo sie sich unterhalten haben.
Berndorf klappt das Telefonbuch zu, atmet einmal tief durch und stemmt sich vom Schreibtisch hoch.
Na, dann wollen wir mal, alter Mann!
W eil es jetzt doch Frühling wird oder geworden ist, will sich Manuela – Barbaras portugiesische Putzfrau – wieder einmal die Fenster vornehmen, und dazu sollten auch die Vorhänge abgenommen und in die Waschmaschine gesteckt werden. Es gibt wenige Dinge in der Welt, zu denen Barbara im Augenblick noch weniger Lust hätte, aber irgendwie zieht sie – wenn Manuela sich einmal etwas in den ondulierten Kopf gesetzt hat – regelmäßig den Kürzeren. Und weil immer eines zum anderen kommt, erreicht das Große Portugiesische Frühjahrs- und Reinigungsmassaker gerade in dem Augenblick seinen Höhepunkt, als anhaltend das Telefon klingelt.
Barbara will zu ihrem Schreibtisch, stolpert über einen Staubsaugerschlauch, fängt sich gerade noch an der Schreibtischkante ab, erwischt den Hörer und meldet sich.
»Ja, hier spricht der Uwe«, meldet sich eine Stimme, die ein wenig verschlafen und vernuschelt klingt.
»Das ist aber nett«, sagt Barbara, »und was kann ich für Sie tun, Uwe?«
»Ein’tlich«, meint Uwe, »tu ich schon was für Sie. Die Tippse oder was sie ist von der Wanda Kuhlebrock hat mir Ihre Nummer gegeben. Was täten Sie denn so springen lassen?«
»Das kommt darauf an, was Sie zu bieten haben«, gibt Barbara zurück. »Wenn Sie in der Nacht zum Montag in der Kleinen Rosenthaler einen schwarzen Landrover gesehen haben, aber nur dort und nirgendwo sonst – dann können wir über alles andere reden, am besten bei einer Tasse Kaffee …«
»Also Kaffee«, sagt die Stimme und klingt plötzlich sehr entschlossen, »trink ich eher selten oder nie. Wissen Sie was? Treffen wir uns doch auf ein gepflegtes Bier in der Alten Schönhauser Landstraße, hier in Mitte, können Sie nicht verfehlen …«
B erndorf geht durch die kleine Pforte und schlägt den Weg ein, der über den Alten Garnisonfriedhof führt, vorbei an den Steinplatten, die ein Massengrab mit Toten aus den letzten Kriegstagen 1945 bedecken. Die Sonne scheint, und unter dem grünen Blätterdach der Bäume wirken die Grabmäler der alten preußischen Offiziersfamilien seltsam heiter und entrückt, als sei auch im Tod noch die Erste Klasse für sie reserviert. Forsythien blühen und auch eine Magnolie.
Er erreicht den Ausgang zur Linienstraße und wendet sich nach links, will dann aber plötzlich stehen bleiben und muss sich zwingen, weiterzugehen, weil das Stehenbleiben zu auffällig wäre. Aus einem der Häuser vor ihm kommt der halbwüchsige Junge, mit dem er am Montag gesprochen hat, aber an diesem Morgen trägt er keinen Verband, mit ihm tritt ein noch junger, aber auffallend dicker Mann auf die Straße – auch ihn hat er hier im Viertel schon einmal gesehen,
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