Schlecht aufgelegt (German Edition)
demonstrativ auf dem Schreibtisch ab. Er war ein ehemaliger BWL-Student ohne Abschluss, Mitglied der Jungen Union und fuhr des Nachts Rettungswagen für das Deutsche Rote Kreuz, darauf war er stolz, dabei machte er das nicht aus sozialem Engagement, sondern weil er da mal so richtig Gas geben durfte. Martin Schulte war ein schwammiger Typ mit klebriger Ausstrahlung; seine Kunden ölte er so komplett ein, dass sie am Ende nicht mehr wussten, ob sie sich gerade beschweren oder verbinden lassen wollten. Jedenfalls legten sie beglückt auf. Das machte ihn zu einem wertvollen Mitarbeiter des T2-Teams.
Paul starrte auf Martin Schultes Tennissocken, als wären sie voller glibberig wimmelnder Maden. Martin Schulte durfte seine Füße auf den Tisch legen, weil er für Herrn Kletzke, den Abteilungsleiter, auf dem Hügel den Computer bediente, davon hatte Herr Kletzke nämlich wenig Ahnung, und Martin Schulte war schlicht der Erste gewesen, der diese Chance erkannt und ergriffen hatte. Hätte Paul seine Füße auf den Tisch gelegt, er wäre sofort zu Herrn Monschau, dem Personalleiter, geschickt worden. Das waren die feinen hierarchischen Unterschiede.
Paul ließ seinen Blick schweifen. In der hintersten Ecke auf der anderen Seite des Raums, geschätzte dreißig Meter entfernt, da saß Frau Gutschmidt und versuchte, eine Taste ihrer Telefonanlage zu treffen. Sie war die Schwächste unter den Schwachen, auf ihr lastete die Verachtung der gesamten Belegschaft. Ihr blieben noch etwa fünf Jahre bis zur Rente, eine weißhaarige Frau mit dem angstvollen Gesicht eines aufgeschreckten Uhus, die vor wenigen Jahren von ihrem Mann verlassen und nicht auf das Leben in der Wildnis vorbereitet worden war. Frau Gutschmidt konnte weder telefonieren noch mit einem Computer umgehen, noch flüssig lesen oder schreiben. Es war allen ein Rätsel, welche Verkettung von Zufällen und Fehleinschätzungen ihr zu dieser Anstellung verholfen hatte, und es war Konsens, dass die Tätigkeit im Call-Center für die T2-Vermittlung ja wohl der verlorenste, miserabelste und unbeliebteste Job der Welt sein musste, wenn sogar Frau Gutschmidt ihn ausüben durfte. Ihre letzte Beschäftigung an einer Supermarktkasse hatte sie verloren, weil sie es nicht geschafft hatte, die Waren über den Scanner zu ziehen. Sie konnte einem nicht einmal leidtun, denn sie war nicht einmal nett. Frau Gutschmidt war eine Einzelkämpferin, sie tauchte so gut wie nie im Pausenraum auf und saß die meiste Zeit allein an einem Vierertisch. Ihr war das wahrscheinlich recht, vermutete Paul, so fiel es nicht auf, dass alle ihre Kundengespräche ein einziges großes Desaster waren. Kunden, die mit Frau Gutschmidt telefoniert hatten, riefen nie wieder an. Das machte sie dann doch irgendwie auch zu einer wertvollen Mitarbeiterin des T2-Teams.
Paul stöpselte sein Headset in die dafür vorgesehene Buchse seiner Telefonanlage. Er hasste seinen Job, er hasste die missratenen Existenzen um ihn herum, und er hasste es, ein Teil von ihnen zu sein. Er langweilte sich zu Tode. Er fühlte sich unterfordert, gedemütigt, überflüssig sowie am falschen Ort, und im Innersten wusste er, dass es jedem einzelnen seiner Kollegen genauso ging – sogar Frau Gutschmidt – und er daher eben doch in einer Reihe mit ihnen stand. Das demütigte ihn zusätzlich.
Eine Schicht bedeutete annähernd hundert Kollegen, er kannte kaum jemanden von ihnen, und diejenigen, die er kannte, hätte er lieber nicht gekannt. Vielleicht mal abgesehen von Sandy Schorndorf, die einen sehr großen Busen und ein sehr kleines Hirn hatte und um die sich die männlichen Mitarbeiter des Call-Centers gruppierten wie ein Schwarm Bienen um ein prall gefülltes Honigglas. Trotzdem, wenn Paul die Wahl hatte zwischen dem Blick auf Sandy Schorndorfs Brüste und den Parkplatz, er wählte den Parkplatz. Der Parkplatz stand symbolisch dafür, dass man von hier auch wieder wegfahren konnte.
Paul setzte sein Headset auf und seufzte erneut. Der Anfang einer Acht-Stunden-Schicht. Eine Dreiviertelstunde Pause in der Mitte, dazwischen telefonieren ohne Punkt und Komma. Die meiste Zeit war Warteschlange, so hieß das, wenn mehrere Kunden in der Leitung hingen und darauf warteten, entweder verbunden zu werden oder eine Telefonnummer oder Adresse angesagt zu bekommen. Oder aus der Leitung zu fliegen, was oft genug vorkam. Wenn an der Telefonanlage eine kleine Lampe blinkte, dann war sie da, die Warteschlange. Da hieß es Tempo machen bei den
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