Schleier des Herzens (German Edition)
einen anderen heben und damit immer neue Wege zu den Gestaden der Seligkeit öffnen würde.
Nachdenklich ließ Beatriz sich am Rand eines Wasserbeckens niedersinken und tauchte die Hand in das kühlende Nass, erspürte die Strömung und überließ sich dem Sog des künstlichen Bachlaufs. Diego war wie ein Wasserfall gewesen. Rein und wild und mitreißend. Aber Amir war wie dieser Bachlauf: spielerisch leicht dahinfließend, in immer wieder neuen Bahnen, mit überraschenden Wendungen, aufgehend in fröhlichen Kaskaden, sprudelnden Wirbeln und tiefen, ruhigen Seen.
Ja. Ja, sie fürchtete sich um das Leben des Emirs! Sie war ein Teil von ihm geworden, seine Augen beherrschten ihre Träume, sie spürte seine Hände noch auf ihrem Körper, und sie fühlte sich geborgen, wenn sie sich an ihn schmiegte. Aber sie wollte nicht seine Konkubine sein. Nicht eine unter vierhundert! Sie wollte sich abends mit ihm hinlegen und morgens in seinen Armen erwachen. Sie wollte, dass er seine Sorgen mit ihr teilte – vielleicht war es wirklich eine kluge Idee von Ayeshas Lehrmeisterin, Mädchen in Politik und Geografie, Philosophie und Dichtkunst zu unterrichten. Die Männer konnten sich dann ernsthaft mit ihnen unterhalten. Ganz sicher behandelte niemand Ayesha wie ein dummes Püppchen. Beatriz dagegen war für ihren Vater und Diego nicht viel mehr gewesen als ein Spielzeug – ein Hündchen oder Kätzchen, dessen Anblick und dessen possierliches Verhalten die Männer entzückte. Um Rat gefragt hätte man sie jedoch sicher nicht, Entscheidungen wären über ihren Kopf hinweg getroffen worden.
So dürfte es nicht sein zwischen ihr und Amir! Gleich morgen würde sie Ayesha bitten, dieses Kartenlesen mit ihr zu üben, und später vielleicht auch politische und philosophische Schriften mit ihr zu lesen. Man würde sehen. Aber bis dahin wollte sie sich noch ein paar süßen Träumen hingeben. Träumen von Amirs Rückkehr, Träumen von Wollust in seinen Armen ...
Dreizehntes Kapitel
Amir fixierte seinen Gegner mit harten, schwarzen Augen. Der riesige Ritter in seiner schimmernden Rüstung, die Lanze zielsicher auf ihn gerichtet und den rasenden Streithengst mit starker Hand führend, war ein wahrhaft beängstigender Anblick. Allerdings auch nicht der erste seiner Art, dem der maurische Königssohn ins Auge blickte. Amir lächelte leicht, zog seinen Lederpanzer zurecht und ließ seine Stute mit einem leisen Schnalzen in den Galopp fallen. Sie schoss auf den Streithengst zu, aber sie war ebenso auf der Hut wie ihr Herr. Im letzten Augenblick, als der Gegner fest damit rechnete, auf Amir zu treffen, folgte sie einem raschen Andrücken seiner Schenkel und sprang seitwärts weg, Amir tauchte unter der feindlichen Lanze hindurch, nicht ohne den überraschten Ritter mit seiner eigenen anzustoßen. Es reichte nicht aus, ihn vom Pferd zu holen, aber es brachte ihn doch aus dem Konzept. Amir wendete seine Stute leicht auf der Hinterhand; es machte ihr regelrecht Spaß, den feindlichen Ritter zu verfolgen. Amir neckte ihn, indem er seinen Renner an ihm vorbeisetzen ließ, blitzschnell wieder wendete und sich dem nun völlig unvorbereiteten Christen erneut zum Schlagabtausch stellte. Bevor der Feind seine Waffen noch ordnen konnte, hob Amir ihn mit einem gekonnten Schwung aus dem Sattel. Der Mann landete auf dem Allerwertesten und lag in seiner schweren Rüstung im Sand wie eine Schildkröte auf dem Rücken. Amir kehrte zu ihm zurück und setzte ihm die Lanze auf die Brust.
»Ergebt Ihr Euch?«, fragte er auf Spanisch und lächelte schalkhaft. »Dann brauchte ich Euch nämlich nicht zu töten. Es käme mir ein bisschen – unehrenhaft – vor, Euch hier wie einen Krebs zu knacken.«
Der Spanier brummte empört, tastete nach seinem Schwert, ließ es dann aber doch lieber stecken. Stattdessen hob er sein Visier.
»Es würde Euch reuen, mich zu töten. Mein Name ist Miguel de Aguadulce, Conte de Avano. Der König hat mich als Unterhändler bestimmt, sollte Euer Emir Friedensverhandlungen erwägen.«
Amir lachte schallend.
»Ihr macht mir Spaß, Don Miguel! Liegt auf dem Rücken wie ein Hund, aber bietet mir huldvoll Kapitulationsverhandlungen an! Denn darum geht es doch wohl, oder?«
»Ich spreche nicht von Euch, sondern von Eurem Emir!«, gab der Spanier hochmütig zurück. »Es ist kaum wahrscheinlich, dass ein kleiner Krieger wie Ihr die hochkomplexen Verwicklungen versteht, die zu diesem Angriff führten, sowie mögliche Bedingungen zu seinem
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