Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Wartete. Schlief ein Weilchen. Um acht Minuten nach eins kam sie raus. Zusammen mit drei Jungen. Die Jungen waren betrunken. Dann war da noch ein Mädchen. Sie fuhren los. Ich folgte ihnen. Nach einer Weile wusste ich, wo sie hin wollten. Sie fahren immer zum Feensee. Ich war ihnen schon öfter dorthin gefolgt. Ich fuhr am Parkplatz vorbei, hielt hinter ein paar Bäumen. Ich sah, dass sie sich stritten. Einer von den Jungen wollte mein Mädchen anfassen. Sie lief weg. Direkt in den Wald. Sie wollte zum See. Das andere Mädchen folgte ihr, dann der Junge. Wo wollten sie hin? Ich erinnerte mich an das Haus auf der anderen Seite des Sees. Ich fuhr ein Stück weiter. Es gibt dort einen alten Forstweg, der direkt zur Lichtung am Hexenhaus führt. Vielleicht würden sie dort auftauchen. Ich wartete zwanzig Minuten. Dann sah ich sie. Mein Mädchen in ihrem silbernen Glitzerrock. Ich hielt mich im Wald und umrundete die Lichtung. Ich kam näher. Ich wusste, dass ich ihr nicht zu nahe kommen durfte
.
Weiter will er erst mal nicht schreiben. Er ist zufrieden. Die distanzierte Beschreibung der Vorgänge, die sich vor fast einer Woche abgespielt haben, erregt ihn. Er überlegt, ob er es bei dem nächsten Mädchen vielleicht anders machen soll. Sie länger observieren, den Zufall ausschalten, alles, was dann geschehen wird, vorher aufschreiben. Er muss noch besser werden. Er hat einen großen Fehler gemacht. Er hätte nicht bei der Zeitung anrufen dürfen. Und er hätte nicht versuchen dürfen, Walter Heimann zu töten.
Grenier hängt fest. Ihre Haare haben sich im Gestrüpp verfangen, und irgendwie bekommt sie die nicht los. Sie ruft Albert. Während er ihre Haare aus den Ästen befreit, während seine Finger arbeiten, erschrickt sie. Weil sie will, dass Albert mehr mit ihr macht, hier im Gestrüpp, als nur ihre Haare anzufassen. Das sie an so was in so einer Situation denkt, ist noch nicht vorgekommen.
Albert hatte mit ihr den Garten abgesucht. Sie hatten nichts gefunden. Als letztes waren sie in diesen riesigen, verfilzten Schneeballstrauch eingedrungen.
Albert hat sie befreit. Sie dreht sich um. Er bleibt stehen. Warum so nah? Marie Grenier spürt ein extremes Verlangen. Nach diesem Mann, den sie überhaupt nicht kennt. Und Albert? So dicht, warum macht er nichts? Marie Grenier kommt sich vor wie ein dummes Mädchen. Sie senkt den Kopf, sieht zur Seite.
Rot.
Ein Stück rotes Plastik, die Ränder sind schwarz. Marie Grenier hat genug Erfahrung, um zu wissen, dass sie den Rest eines Benzinkanisters gefunden hat.
Als Grenier Roland Colberts Zimmer betritt, merkt sie sofort, dass sie hätte anklopfen sollen. Im Zimmer sitzen vier Leute. Der Kommissar, eine Frau, die sie nicht kennt, ein Mann, der wie ein Anwalt aussieht, und ein älterer Herr.
Grenier will kurz mit dem Kommissar sprechen.
Eine schnelle Bewegung mit der Hand. Eine eindeutige Geste.
Das ist noch nie vorgekommen, dass der Kommissar sie rausschmeißt.
Roland Colbert hat den Schreck in Greniers Gesicht nicht wahrgenommen. Es gibt Wichtigeres im Moment.
Silvia Stühler ist mit ihrem Anwalt auf dem Kommissariat erschienen, und Roland Colbert wartet auf Unterstützung.Jetzt einen Verfahrensfehler zu begehen ist das Schlimmste, was ihm passieren kann. Silvia Stühler stammt zwar aus Fleurville, lebt aber in Deutschland. Wer befugt ist, sie zu vernehmen, ist ihm unklar. Das muss geklärt sein, sonst drehen die sich mit einem Verfahrensfehler raus!
Silvia Stühlers Anwalt macht Druck.
»Wie lange wollen Sie uns hier noch festhalten?«
»So lange, bis unser Jurist da ist.«
»Und mit welcher Begründung halten Sie Frau Stühler fest?«
»Sie sind hier in einem französischen Kommissariat. Ich werde keine Ihrer Fragen beantworten. Nicht, ehe unser Jurist da ist.«
Roland Colbert ist längst entschlossen, Kristinas Mutter nicht gehen zu lassen. Er weiß, dass Silvia Stühler einen Fehler begangen hat. Sie hat einen Anwalt angerufen, der darauf aus ist, eine Aussage zu verhindern. Sie wird ihre Gründe haben! Endlich geht die Tür auf. Ein großer Mann Ende fünfzig stellt sich als Jurist für Verfahrensfragen vor. Er ist gerade damit fertig, als eine Frau den Raum betritt, die dem Anwalt von Silvia Stühler mitteilt, dass sie die Staatsanwältin des Arrondissements von Fleurville ist. Silvia Stühlers Anwalt weicht unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Staatsanwältin ergreift das Wort.
»Monsieur Colbert, weshalb ist mein Erscheinen hier
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