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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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Ihm kam ein Ski abhanden, und sie verloren viel Zeit, ihn zu suchen und aus dem Schnee auszugraben. Trotzdem ließen sie sich nicht entmutigen, machten unbeirrt weiter und halfen einander, so gut es ging. Sie versuchten, die Skier abzuschnallen und über der Schulter zu tragen; aber in den schweren Stiefeln versanken sie oft hüfthoch im Schnee, weshalb sie diese Idee schnell wieder verwarfen.
    Gelegenheiten, die Skier einfach laufen zu lassen, waren rar und brachten sie kaum mehr als fünfzehn, zwanzig Meter voran. Geschlagene zwei Stunden brauchten sie für die Strecke, die sie auf der Piste in gerade mal zwei oder drei Minuten zurückgelegt hatten.
    Sie hielten an, räumten sich ein Fleckchen im Schnee frei und machten eine kurze Pause. Beide wussten, dass die Dämmerung langsam hereinbrach. Unter keinen Umständen durften sie nach Einbruch der Dunkelheit mit den Skiern im Wald festsitzen.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig wird«, meinte Zoe.
    »Was schätzt du, wie weit es noch ist?«
    »Solange wir weiter schräg bergab fahren, müssen wir früher oder später auf diesen Waldweg treffen. Dürfte nicht länger als eine Stunde dauern. Zwei vielleicht, bei unserem Tempo.«
    »Eine Stunde oder zwei bis zum nächsten Ort? Oder ein oder zwei Stunden bis zum Weg?«
    »Eins von beidem.«
    In tiefem Schweigen saßen sie da mitten im Wald im Schnee. Sie wünschte, er würde was sagen.
    »Tut mir leid, dass ich dich hierhergeschleppt habe«, sagte sie. »Du kannst mir gerne die Hölle heißmachen, wenn du willst.«
    »War doch eine gute Idee.«
    »Nein, war es nicht.«
    »Na ja, aber zumindest war es mutig.«
    Sie wünschte, er würde sie aufziehen. Die Lage war ernst, wenn sie sich nicht zankten. Sie schaute durch die Bäume in den grauen Himmel. Und hoffte inständig, das langsam schwächer werdende Tageslicht werde noch ausreichen.
    »Auf ein Neues?«
    »Auf ein Neues.«
    Tatsächlich trafen sie gerade mal eine halbe Stunde, nachdem sie aufgebrochen waren, auf den Waldweg. Es war kaum mehr als ein schmaler Holzfällerpfad, doch er führte steil bergab, und Zoe war bester Dinge, weil sie die Landkarte richtig gelesen hatte. Es war nicht leicht gewesen, aber sie hatten es geschafft.
    Es war eine große Erleichterung, endlich die Skier laufen lassen zu können. Der Weg war tief verschneit und ziemlich schmal, war aber keine große Herausforderung für ihre Fahrkünste. Es wurde zusehends dunkel. Gelegentlich ging es steil bergab, dann wieder hinauf; wenn sie nicht genug Schwung hatten, mussten sie die Anhöhe hinaufkraxeln; doch diese anstrengenden Intermezzi wurden stets durch eine rasante kleine Abfahrt durch die Dämmerung belohnt.
    Endlich teilten sich die Fichten und Tannen so weit, dass sie einen flüchtigen Blick auf die funkelnden Lichter im Dorf unter ihnen zuließen. Beim Näherkommen sahen sie beleuchtete Hotels und Häuser und geparkte Autos an der Straße, die in den Ort führte.
    Erleichtert fielen sie sich in die Arme, lachten und gestanden sich, dass sie es oben im Wald am Berg nicht gewagt hätten zuzugeben, wie viel Angst sie eigentlich hatten, sie könnten sich übernommen haben. Doch nun konnten sie die Skier einfach weiter den Pfad entlanglaufen lassen, etwas langsamer allerdings aus Sorge um Gegenverkehr.
    Aber hier gab es keinen Gegenverkehr, es gab überhaupt keinen Verkehr. Als sie ins Dorf kamen, sahen sie keinen einzigen Menschen. Der Ort war genauso verlassen wie der, aus dem sie gekommen waren.
    Jake fand als Erster die Sprache wieder. »Das wird dir nicht gefallen.«
    »Was?«
    »Ich glaube, dieses Dorf wurde auch geräumt.«
    Zoe stöhnte auf.
    Sie kamen an eine ebene Straße und mussten die Skier abschnallen und tragen. So marschierten sie in den verlassenen Ort hinein, suchten in den Häusern nach irgendwelchen Lebenszeichen, wie Soldaten im Krieg, bloß dass sie statt Gewehren ihre Skier geschultert hatten.
    Zoes Gesicht verfinsterte sich. »Das kann doch nicht sein. Das kann doch einfach nicht sein.«
    »Was?«
    »Stopp. Stopp. Sieh dir mal das Hotel an. Und schau mal die Kirche da auf dem Hügel.«
    »Was ist denn damit?«
    »Der Turm. Das ist derselbe. Derselbe wie der in unserem Dorf.«
    »Ähnlich.«
    »Nicht ähnlich, Jake. Überhaupt nicht ähnlich. Es ist derselbe. Genau wie dieses Hotel. Wir sind wieder in Saint-Bernard. Wir sind wieder da, wo wir losgegangen sind!«
    Mit einem schiefen Lächeln, das mehr ein ungläubiges gequältes Grinsen war, schaute Jake sie

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