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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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obwohl man ein schlechtes Gewissen hatte, war doch ein Gefühl stärker: Ich bin attraktiv, ich werde begehrt. Und dann hat man sich direkt auch viel mehr Mühe mit dem eigenen Partner gegeben. Aus schlechtem Gewissen, der Partner hat doch auch so viel von dem schlechten Gewissen des anderen.
    Und jetzt, nach dieser Erkenntnis, versuche ich das Unmögliche. Ich will, dass mein Mann mir erlaubt, mit anderen Männern zu schlafen. Ich werde ihn dazu kriegen, ich bin mir sicher, dass ich das schaffe. Es steht schließlich achtzehn zu null. Das weiß mein kluger Mann auch.
    Georg fuhrwerkt immer noch in der Waschküche rum, er ist sehr genau bei allem, was er macht, ob es meine Vagina ist, die er bearbeitet, oder unsere dreckige Wäsche. Schön, hier zu liegen und zu denken. Ich denke über unser Leben nach. Unser gemeinsames Leben. Was der schon alles aushalten musste mit mir. Ich lasse immer alles raus, ich kann vor ihm nichts verbergen, immer wenn es mir schlecht geht, und das ist oft, muss er dran glauben, ich versuche mich immer weiter zurückzuziehen, ihn nicht so mit meinen Störungen zu belämmern, ich werde immer besser, aber alles, was früher geschehen ist, steht zwischen uns, ich kann es nicht ungeschehen machen. Er denkt das alles mit, wenn er mich anguckt, wenn er mit mir schläft, das gehört leider alles zu mir. Schrecklich.
    Mir fällt eine schlimme, peinliche Sache ein, die ich ihm mal angetan habe.
    Einmal habe ich im Wäschekorb eine Socke gefunden, die war voll mit Sperma. Ich bin mir sicher, dass es Sperma war, ich erkenne das auf zehn Meter Entfernung! Und ich bin, ohne nachzudenken, zu ihm hinmarschiert und habe ihn zur Rede gestellt. In dem Moment war ich mit Sicherheit von meiner Mutter besessen. Sie sprach aus mir raus und wollte wieder diese Beziehung zu diesem tollen, Socken vollwichsenden Mann zerstören. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie peinlich ihm das war, darüber reden zu müssen. Habe ich erst Jahre später erfahren. Jetzt ist mir das auch peinlich, aber ich habe einfach eine Tretmine nach der anderen in die Erde unter uns gelegt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Die Tretmine der Spermasocke ruht unter unserer Beziehung, und ich finde keine Möglichkeit, diesen peinlichen Ausraster meinerseits wieder ungeschehen zu machen.
    Das ist tatsächlich das größte Problem in unserer Beziehung. All die psychischen Probleme, die ich mitbringe. Ich wollte, dass er übermenschlich stark ist und nicht all diese dreckigen Dinge macht, die Menschen so machen. Ich dachte, wenn er schon meine Eltern ersetzt, soll er auch perfekt sein. Wenn ich ihn kontrolliere, bleibt er bei mir. Und dann geht der praktisch mit einer Socke fremd. Wichst die voll anstatt mich. Warum fragt er nicht mich, ob ich Bock habe? Mir ist schon klar, warum er mich nicht fragt. Ich bin nämlich meistens depressiv, und wenn ich nicht depressiv bin, bin ich aggressiv. Da hat man keine Lust, so eine Frau zu verführen. Da ist eine alte stinkende Käsesocke attraktiver. Es war eine von seinen, nicht meine. Noch nicht mal das.
    Das Schlimmste ist: Ich habe Verständnis! Ich habe so viel falsch gemacht in unserer Liebe. In meinem verzweifelten Kampf, ihn zu halten, habe ich ständig fast alles kaputt gemacht. Er hat dann in der Paartherapie gelernt, dass ich das Problem bin und nicht er, dass ich all diese Probleme in die Beziehung bringe. Dass ich ihn damit in Ruhe lassen muss. Dass er mich nicht glücklich machen kann. Dass er versuchen muss, sich so weit wie möglich aus meinen Problemen rauszuhalten. Was aber in dem Moment sehr schwer ist, wenn ich mit einer von ihm vollgewichsten Socke vor ihm stehe, die seine Frau und sein ärgster Feind aus den Untiefen der dreckigen Wäsche befördert hat. Heißt das Borderline? Wenn man das, was einem das Liebste ist, nämlich die Beziehung zu seinem Mann, täglich mit beiden Füßen tritt? Wenn man sich nichts Schlimmeres vorstellen kann, als dass er einen verlässt, aber alles dafür tut, tagtäglich, damit er es bald macht. Machen muss, um wenigstens sein Leben vor meiner verkorksten Seele zu retten.
    Warum bleibt er bei mir? Warum lässt er sich das gefallen von mir? Wie kann er danach nur mit mir schlafen? Wir lieben uns abgöttisch, das ist schon mal klar, vor allem er mich, weil er immer noch bei mir ist, obwohl ich mich in den letzten Jahren leider ständig von meiner hässlichsten Seite gezeigt habe. Meine Therapeutin hat es jetzt geschafft, dass ich den Krieg nicht mehr außen

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