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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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können.«
    Drake bedachte ihn mit einem gekränkten Blick. »Ich hab gestern versucht, Ihnen davon zu erzählen. Da wollten Sie mir nicht zuhören.«
    »Tut mir leid. Ich dachte, wir verabschieden uns nur, das ist alles.«
    »Dachte ich auch.«
    »Glauben Sie, Hunt ist noch am Leben?«
    »Ich wüsste nicht, warum sein Haus sonst niedergebrannt wurde und seine Pferde getötet worden sind.«
    »Scheint mir ’ne echt kaltblütige Nummer zu sein.«
    »Scheint so, ja.«
    »Haben Sie Zeit, jetzt da rüberzufahren?«
    Drake sah seinen Kaffee an, den halb aufgegessenen Teller mit Rührei, der vor ihm stand. Er musste seine Frau anrufen. Sie würde sich Sorgen um ihn machen. Warum er mitten in der Nacht halb betrunken mit diesem Mann loszog, den sie beide nicht besonders mochten, ein Mann, der einfach in ihr Leben getreten war, genauso, wie Drake in Hunts Leben geplatzt war. Er nahm die Kaffeetasse und trank sie leer, spürte die heiße Flüssigkeit in der Kehle. Driscoll hatte die Brieftasche gezückt, warf einen Zwanziger auf den Tisch und steckte die Quittung ein.
    ***
    Der Lexus fuhr an den Straßenrand. Die Wärme in Vancouver wurde von den Straßen der Stadt zurückgeworfen und waberte über dem Pflaster. In der Ferne schienen riesige Glasbauten in der Luft zu schweben. »Heute dermaßen warm, und dann morgen vier Grad und möglicherweise Schnee«, bemerkte der Fahrer. »Komisches Wetter.«
    Der Mann auf dem Beifahrersitz bedachte den Fahrer mit einem starren, ausdruckslosen Blick, dann öffnete er die Tür, stieg aus und ging in einen nahe gelegenen Baumarkt.
    Drinnen schritt er durch die Gänge. Er fand die Kästen mit den Schlauchschellen und suchte etliche der größeren Metallringe aus. In der Gartenabteilung fand er eine Baumschere mit arretierter Feder. Er hielt sie in den Händen und öffnete den Verschluss. Als er zu den Kästen mit Schrauben, Unterlegscheiben und Muttern kam, legte er eine kleine Schraube zwischen die Scherblätter und trennte sie glatt durch. Nur das Geräusch der zu Boden fallenden Hälften war zu hören. Der Angestellte am Informationsstand sah zu ihm herüber. Der Fahrer winkte, dann bückte er sich, um die beiden Schraubenhälften aufzuheben. Als er sich wieder aufrichtete, saß der Angestellte da und las.
    Draußen öffnete der Mann die Beifahrertür und warf die Tüte mit den Sachen aus dem Baumarkt ins Auto, ehe er selbst einstieg. Als er sich auf dem Sitz niederließ, hatte der Fahrer bereits die Tüte geöffnet und begutachtete rasch deren Inhalt. »Ziemlich ambitioniert«, meinte er. »Aber als Klempnerausrüstung nicht gerade toll.«
    »Überzeugend.«
    »Vorschlaghämmer sind überzeugend, Äxte, Nagelpistolen, Sägen. Hast du schon mal so eine Zwei-Mann-Säge gesehen? An den Dingern sind mehr Zähne dran als an ’nem Hai.«
    »Kannst du einfach losfahren?«
    Der Fahrer ließ den Wagen an. »Es soll doch einschüchternd wirken.«
    »Das hier ist mehr als genug.«
    »Sollen wir uns schnell was zu essen besorgen?«
    »Wie lange wird das dauern?«
    »Hast du’s eilig?«
    »Ich mache mir bloß Sorgen. Fahr am Flughafen vorbei.«
    ***
    Hunt saß auf der Couch. Draußen hatte der Regen aufgehört, und er bearbeitete sein Bein und überdachte seine Lage. Sein Vater hatte sich wegen genau so einer Situation umgebracht, Kreditwucher im kleinen Stil, mit Darlehen, die nicht seine waren. Wenn seine Mutter ihn jetzt sehen könnte, dachte er, dann würde sie vielleicht dasselbe tun. Im Laufe der Jahre war Hunt erwachsen geworden, doch die Vorstellung, ein ständiger Versager zu sein, war ihm geblieben. Immer war er sich in den falschen Situationen seiner selbst vollkommen sicher. Ein guter Mensch, gemacht aus allem Schlechten dieser Welt.
    Die Tasche des Mädchens lag auf dem Tisch, und er ging hin und öffnete sie. Ein Pass fiel heraus, ein Röhrchen mit Wimperntusche, ein kleiner Lippenpflegestift, Papiertaschentücher, ein Schlüsselbund, ihre Brieftasche. Er nahm die Brieftasche und durchsuchte sie. Geld, das er noch nie gesehen hatte. In einem der Kartenfächer fand er ein Foto von Thu und zwei Kindern. Wieder dachte er, dass sein Leben anders gewesen wäre, wenn er Kinder gehabt hätte. Die Kinder waren dunkelhäutig, gebräunt, das Haar von der Sonne aufgehellt. Beide trugen Pullover, und damit sahen sie komisch aus, irgendwie fehl am Platze, als gäbe es gar keinen Grund, diese Pullover anzuhaben. Im Portemonnaie fand er eine Adresse in Seattle. Nachdem er sie einen Augenblick lang

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