Schrei in Flammen
Telefonnummer des Clubs dabei. Es klingelte im gleichen Moment, als er nach einem Besuch bei der Bank seine Wohnung betrat. Einer seiner Strohmänner, der Devils-Anwärter Jonas, offiziell Alleineigentümer der Gesellschaft
Total-Abriss,
war mit ihm dort gewesen und hatte einen Teil des Überschusses vom letzten Abrissjob in Sydhavn abgehoben.
Jim war Hector bei dem Entwurf des Firmenkonzeptes behilflich gewesen, und es funktionierte perfekt. Kontinuierlich flossen erfreuliche Bargeldströme in Hectors Taschen. Und dass
Total-Abriss
weder Lohnsteuer noch Arbeitsmarktbeitrag oder Umsatzsteuer bezahlte, war schließlich nicht Hectors Problem.
»Hector«, antwortete er und hängte seine Jacke auf, in deren Innentasche ein dicker Umschlag mit Tausendkronenscheinen steckte.
»Hallo, mein Name ist Jesper Egelund«, war eine angespannte Stimme zu hören. »Ich bin freier Journalist und rufe an, weil ich gerne ein Porträt über Sie schreiben möchte.«
»Okay?«
»In Verbindung mit den Bandenkriegen habe ich mit einer großen Tageszeitung überlegt, eine Art Doppelporträt von einem führenden Rocker und einer der Leitfiguren des Bandenmilieus zu bringen.«
Es war nicht das erste Mal, dass Hector oder einer der anderen führenden Rocker von Zeitungen oder Zeitschriften auf Interviews angesprochen wurden. Die Brüder, wie sich die Mitglieder der Banden nannten, hatten untereinander diskutiert, wie man sich bei solchen Anfragen verhalten sollte. Sie waren zu dem Ergebnis gekommen, dass man sich im Prinzip für Interviews zur Verfügung stellen konnte, solange sichergestellt war, dass sie den Inhalt des Artikels oder Buches vor der Veröffentlichung noch einmal zur Durchsicht bekamen. Selbstredend galt die übliche Regel, dass nichts von dem, was auch nur im Entferntesten mit den illegalen Aktivitäten des Clubs zu tun hatte, mit der Polizei oder mit der Presse besprochen wurde. In keiner Form! Außer man hatte den Wunsch,
out in bad standing
zu kommen, also seine Kutte und seinen Status abzugeben und in die Wüste geschickt zu werden. Dahingegen war es immer eine willkommene PR für den Club, wenn ein Beitrag sie als Menschen darstellte und den Club als eine Gemeinschaft mit starkem Zusammenhalt, in der man füreinander eintrat, Feste zusammen feierte und ein gemeinsames Interesse teilte: Motorräder. Hector war der Meinung, dass es wie in jedem anderen modernen Unternehmen wichtig war, sich nach außen über Leitfiguren zu präsentieren. Das hatte einen greifbar positiven Effekt darauf, wie die Umwelt sie wahrnahm. Und nach einem Beitrag im Fernsehen oder in einer Zeitung bekamen sie immer jede Menge Anfragen von jungen Männern, die an einer Aufnahme interessiert waren. Es gehörte also sozusagen zur guten Vermarktung und wirkte sich positiv auf die Rekrutierung aus, und das ganz umsonst.
»Und worum soll es in dem Artikel gehen?«
»Ich habe mir gedacht, als Ausgangspunkt den aktuellen Bandenkrieg zu nehmen, vor dem Hintergrund Ihrer ganz eigenen, persönlichen Geschichte.«
»Meine Kindheit?«
»Die auch, ja.«
»Also, dass ich Dresche bezogen habe und mit in Kneipen geschleppt wurde? So was in der Art?«
»Wenn es so war, ja«, sagte Jesper Egelund. »Sie verstehen schon, was ich meine. Unsere Leser wollen den Menschen hinter dem Rocker verstehen«, fuhr er eifrig fort.
Wunderbar, er ist hungrig, dachte Hector. Und man kann mit ihm reden. »Grundsätzlich wäre ich schon interessiert. Und wer ist der andere?«
»Magdi vom Blågårds Plads.«
Fuck, da würde wieder das Loblied auf seine heiligen Onkel aus Marokko gesungen werden, dachte Hector. Aber okay, eigentlich war er sicher, dass er punktemäßig gewinnen konnte.
»Okay«, sagte Hector. »Aber wir sind uns einig darüber, dass es in dem Artikel vorrangig um meine Person geht?« Der Journalist bestätigte ihm das. »Dann bin ich dabei. Allerdings unter der Bedingung, dass ich den Artikel zu lesen bekomme, ehe er in Druck geht.«
»Okay!«, sagte Jesper Egelund.
»Dann haben wir eine Verabredung«, sagte Hector.
»Perfekt! Hätten Sie morgen Zeit?«
»Um drei Uhr im Clubhaus?«
*
Grete Lauritzen hatte die lange Fahrt fast schon vergessen.
Sie seufzte und ließ ihren Blick über das Meer schweifen. Ihr Balkon bot eine traumhafte Aussicht über das azurblaue Mittelmeer, wo sie mit Badeanzug und Kimono bekleidet in der Mittagshitze unter dem Sonnenschirm saß. Das Thermometer zeigte 26 Grad an. Angenehm. In wenigen Monaten würde es wieder viel zu
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