Schrei in Flammen
betrinken.
Und ich begann anders darüber nachzudenken, wie es war, eine Familie zu haben. Vielleicht wurde es ja doch nicht überschätzt? Vielleicht gab es da doch mehr zu erleben als Scham, Furcht und den beständigen Drang wegzulaufen?
Keine Vergangenheit. Das war alles, was ich mir bis dahin gewünscht hatte. Frei zu sein von meiner Geschichte.
Doch so bescheißt einen das Leben. Baut Luftschlösser. Plötzlich wird sie doch wieder interessant, die verfluchte Geschichte. Was war damals passiert?, begann ich mich zu fragen und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Dabei hatte ich all die Jahre zuvor versucht, mir genau diese Fragen nicht zu stellen. Ich hatte alle Menschen verachtet, die ihre Geschichte liebten, ihre Familie und stolz auf beides waren. Sie blieben nie lange in meinem Leben. Ich konnte sie nicht ertragen.
Doch als ich meinen Bruder traf, begann ich davon zu träumen, ihn umzubringen.
Leider, leider ist das wahr.
*
Nachdem die Polizisten gefahren waren, war Christian Letoft ins Schlafzimmer gegangen, um sich umzuziehen. Sofia war zu ihm ins Zimmer gestürzt und hatte ihn ausgefragt, was die Polizei denn gewollt habe. Er hatte sie abgewimmelt und auf später vertröstet.
Sein Hirn fühlte sich an wie eingeschnürt. Was sollte er ihr sagen? Was sollte er seinen Eltern sagen? Wie sollte er seinen Kindern jemals wieder in die Augen schauen, falls er gefasst wurde? Wenn die Tragweite all seiner Taten ans Licht kam?
Er zog sich wie in Trance aus. Als er sein Hemd abgelegt hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Er sah wie das Stück Scheiße aus, das er war. Hatte einen gejagten Ausdruck in den Augen. Was mussten die Beamten gedacht haben? Das Ganze war ein verfluchter Mist! Alles war schiefgegangen!
Die Panik war wie einen ungeheurer Sog in seinem Bauch, der ihn schwindelig machte. Er wollte weg. Weit weg! Raus aus dieser verfluchten Situation, zu der sein Leben sich entwickelt hatte.
Er setzte sich aufs Bett. Okay, okay, sagte er zu sich selbst. Verlier den Fokus nicht. Ein Schritt nach dem anderen. Die Säcke können nicht im Auto bleiben. Du musste sie ins Gartenhäuschen schaffen. Das ist der erste Schritt.
Er stand wieder auf, zog sich ein T-Shirt an und wechselte die Hose. Während die Gedanken durch seinen Kopf schossen, ging er nach unten zum Wagen, öffnete den Kofferraum, nahm den ersten Sack heraus und schleppte ihn durch den Garten.
Das Ganze war aus der Spur geraten, als Maja und Jim in sein Leben getreten waren. Als er Majas Brief erhalten hatte. Wo blieb die Gerechtigkeit? Er hatte sein ganzes Leben dafür gekämpft, Abstand zu all dem Dreck und der Trostlosigkeit zu bekommen, aus der er stammte. Und dann tauchte sie einfach auf. Einfach so? Wie aus dem Nichts hatte er plötzlich eine Halbschwester, die mit ihrem ganzen Wesen seine Flucht ad absurdum führte. Es war der reinste Hohn. Sein ganzes Dasein war wie eine lange Beweiskette, die aufzeigte, dass es ihm niemals gelungen war, wirklich zu entkommen. Er war einer, der jemand zu sein versuchte, der er nicht war.
Christian war nicht gläubig. Er glaubte nicht an Gott, nicht an das Schicksal. Doch als Maja aufgetaucht war, hatte er sich vom Schicksal ausgelacht gefühlt.
Was hatte sie sich nur vorgestellt? Familienessen, bei denen man sich über ihre Einnahmen erkundigte und wie es mit ihren Angestellten lief? Ob auch ihre Branche die Finanzkrise und die Konkurrenz aus dem Osten spürte? Und was sollte er den Kindern über die geheimnisvolle Tante sagen, die plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war? Wie sollte er Amalie Mynte erklären, wie ihre Tante sich den Lebensunterhalt verdiente? Ganz zu schweigen von seinen Eltern? Sollte er ihnen das wirklich zumuten?
Als wäre ein Unglück nicht genug, war neben Maja noch jemand aus seiner Vergangenheit aufgetaucht. Jim. Davor hatte Christian ein gutes Leben geführt. Er war wirtschaftlich in Schwierigkeiten, ja, aber sein Leben war gut gewesen. Jetzt war er kriminell. Von der schlimmsten Sorte. Und hatte im Garten genug Waffen für den nächsten Bandenkrieg.
Der Schweiß troff ihm von der Stirn, und der Plastiksack rutschte ihm aus den Händen. Er hatte seine Probleme zu lösen versucht und dabei nur verkehrte Entscheidungen getroffen. Das Ganze war aus dem Lot geraten. Er starrte auf den Sack zwischen seinen Händen. Er konnte diesen Scheiß nicht bei sich aufbewahren! Die Waffen mussten weg! Und zwar sofort.
Mit zitternden Händen holte Christian sein Handy
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