Schrei in Flammen
aufgeklärt, dass sie mit mindestens zehn Jahren Knast rechnen mussten, sollte die Last, die dicht zusammengepackt unten in der Kajüte verstaut war, entdeckt werden. Er hatte ihnen auch erzählt, dass Schmuggler normalerweise alles taten, um den Ärmelkanal zu umschiffen. Er selbst hatte schon mehrmals den Umweg um die Britischen Inseln gemacht, hatte dieses Mal aber Bescheid bekommen, das Risiko einzugehen. Ihre Deckgeschichte war überzeugend, bis zu den Details um die spanische Werft, ebenso wie ihr Zielort. Manchmal musste man einfach dreist sein und tun, wovon einem alle abrieten.
Aber der Zoll war nur eine der Gefahren, die im Ärmelkanal lauerten. Für ein Fiberglasboot wie die
Maria
– ohne Radarreflektoren und mit ausgeschalteten Laternen – bedeutete jeder Ozeanriese eine ernsthafte Bedrohung. Metallschiffe waren auf dem Radarschirm gut sichtbar. Die
Maria
hingegen war nicht nur für den Zoll, sondern auch für die großen Schiffe unsichtbar, was in einem engen Fahrwasser mit viel Verkehr fatale Folgen haben konnte. Die Tour durch den Ärmelkanal verlangte der Besatzung höchste Konzentration ab, wollte man vermeiden, unter einem Schiff mit 13000 Containern an Bord zermalmt zu werden.
Seit der Kapitän sie vor drei Tagen eingeweiht hatte, kreisten Marcos und Thomas’ Gedanken eigentlich nur noch um dieses Thema. Auch an Schlaf mangelte es ihnen. Nachts hatten sie abwechselnd Wache geschoben, während sie nordwärts die Wellen durchschnitten, oder schlaflos in der Kajüte gelegen. Das vakuumverpackte Haschisch selbst roch nicht, aber die Marokkaner hatten die Plastikpakete in Sackleinen gewickelt, das sich auf dem Boden des Holzbootes mit Diesel vollgesogen hatte, so dass es in der ganzen Kajüte nach Treibstoff stank. Aber am meisten beschäftigte sie die Vorstellung, im Ärmelkanal angehalten und aufgebracht zu werden. Das Risiko, die nächsten zehn Jahre oder länger in einem französischen Gefängnis zu verbringen, war dem Schlaf nicht gerade zuträglich. Marco war so müde wie noch nie zuvor in seinem Leben, gleichzeitig aber so aufgeputscht vom Adrenalin, das durch seine Adern pumpte, dass er es nie lange in seiner Koje aushielt.
Als es dunkel wurde, hatte ihnen der Steuermann gesagt, dass sie im Laufe der nächsten Stunde in den Ärmelkanal einfahren würden.
Es ging also los.
Marco war vielleicht fünf Minuten in der Kajüte gewesen, als es ihn wieder nach oben trieb. Er konnte nicht still sitzen und fühlte sich, als hätte er eimerweise Ecstasy eingeworfen. Er ging zu Thomas, der mit einem Nachtsichtgerät ausgerüstet ganz vorne am Bug der
Maria
saß. Er hatte die erste Schicht übernommen. Marco setzte sich neben ihn.
Ein Stück vor ihnen waren ein paar Riesenpötte zu erkennen, ein Tanker und ein Containerschiff kamen ihnen aus dem Kanal entgegen. Bald würden sie sich begegnen. Die Haare auf Marcos Unterarm stellten sich auf.
»Shit!«, flüsterte er. »Das wird knapp.«
»Ja«, antwortete Thomas.
Mehr sagten sie nicht und starrten weiter in die Nacht.
*
Jim Hellberg konnte nicht schlafen.
Er hatte zwar das Problem mit Christians akuter Panikattacke gelöst – die vier Säcke Torfmoos würden morgen Nachmittag von zwei Leuten der Abrissfirma abgeholt werden –, aber Christian war definitiv kurz vorm Zusammenbruch. Alles war wie damals, und Jim würde viel Energie aufwenden müssen, um ihn durch die nächsten Tage zu coachen, damit er keine Dummheiten machte.
Seine Gedanken gingen hin und her. Von dem Boot, das inzwischen den Ärmelkanal erreicht haben dürfte, zu dem Kokain, das unterwegs von der Farm zu den Kunden war, bis hin zu der Werkstatt und den Autos in Holland. Und dann waren da noch die Schlampe und die Spitzel.
Søren hatte den Holländer gewarnt, aber Robert meinte, die Werkstatt sei sicher. Sie hatten einen Millionenbetrag investiert, um sie einzurichten. Zu viel, um jetzt schon das ultimative Kommando
abort mission
zu geben. Verdammt, sein Hirn war kurz vorm Kollaps. Es gab zu viele Baustellen. Oder wurde er langsam alt und war nicht mehr belastbar?
Er stand auf und ging aufs Klo. Dann sniffte er eine Line, holte sein Telefon und ging runter ins dunkle Wohnzimmer. Es war so neblig, dass er weder die Schiffe auf dem Øresund noch die schwedische Küste sehen konnte. Er versuchte, sich auf das Ziel zu konzentrieren, das vor ihm lag, das tropische Luxusresort. Er sah die Übersichtsskizze vor sich. Die Bucht, die Schiffe, die zwanzig Bungalows am Berghang.
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