Schrei in Flammen
Er arbeitete schon sein ganzes Leben als Zöllner. Erst 28 Jahre im Hafen von Rotterdam und die letzten sechs an Bord der
Roger
. Er wusste längst, dass sie den Krieg gegen die Drogen nicht gewinnen konnten. In den Millionen von Schiffen und Containern, die durch Europas größte Häfen geschleust wurden, wurden zunehmend kreativ und dreist Tonnen von Drogen geschmuggelt, von denen sie höchstens einen Bruchteil fanden. Aber die Jagd stachelte ihn noch immer an.
»Wie groß ist Ihre Besatzung?«
»Zehn Mann. Aber die meisten schlafen. Wir sind spät ins Bett gekommen.«
»Eher früh«, sagte der Steuermann.
Max hätte das Boot gern genauer untersucht, aber die Regeln besagten zu seinem Bedauern, dass eine Durchsuchung nur mit richterlichem Beschluss statthaft war. Er nickte wohlwollend, gab dem Kapitän die Papiere zurück und senkte die Stimme etwas: »Entschuldigen Sie, aber unsere Toilette ist leider kaputt. Ich kann nicht vielleicht kurz bei Ihnen …?«
»Aber natürlich«, sagte der Kapitän.
Max ging zur Treppe, die hinunter in die Kajüte führte. Von unten stieg ihm schwacher Dieselgeruch entgegen. Im gleichen Moment hörte er die Geräusche.
Weiter unten wurden die Geräusche lauter.
Als er den kleinen Loungebereich unter Deck des Bootes erreicht hatte, fiel sein Blick auf einen großen Flachbildschirm, auf dem Max zwei glänzende, muskulöse Männer in voller physischer Entfaltung sah. Er blickte schnell wieder weg.
Da öffnete sich eine Tür, und ein junger, verschlafener Mann Anfang zwanzig kam aus einer Kajüte. Von dem dünnen Hemdchen abgesehen, das er trug, war er nackt. Überrascht sah er Max an und hielt sich die Hände vor den Schritt. Hinter dem Mann in der Kajüte sah Max einen weiteren jungen Mann, der unter einer Decke auf dem Sofa lag. Auf dem Tisch vor ihm standen Gläser und ein paar leere Champagnerflaschen.
»Entschuldigung«, sagte Max. »Ich wollte nur kurz Ihre Toilette benutzen.«
Max verschwand in dem kleinen Waschraum und schloss die Tür hinter sich. Das Gestöhne des Films drang durch die Tür bis zu ihm nach drinnen. Nachdem er einen Moment gewartet hatte, zog er ab, wusch sich die Hände und ging wieder nach draußen. Der junge Mann war inzwischen zu dem anderen unter die Decke gekrochen.
Schnell ging Max die Treppe hoch nach oben ans Deck. Er hatte genug gesehen. Kapitän und Steuermann standen am Ruder und redeten miteinander. Max ging zu ihnen.
»Es riecht unten recht auffällig nach Diesel. Vielleicht sollten Sie Ihren Motor noch einmal überprüfen lassen.«
»Das habe ich auch schon bemerkt«, sagte der Kapitän. »Ich werde das bei nächster Gelegenheit checken lassen.«
»Das war’s dann auch schon«, sagte Max. »Gute Fahrt nach Dänemark!«
»Danke«, sagte der Kapitän.
Er reichte Max die Hand, damit er zurück auf das Polizeiboot steigen konnte. Dann wurden die Riemen gelöst, und die beiden Schiffe fuhren auseinander. Als Max wieder auf der Brücke stand, sah er der Jacht, die weiter nach Norden fuhr, nachdenklich nach. Er schüttelte den Kopf. Man wusste nie, was einen an Bord der Boote erwartete, die sie überprüften.
*
»Dann haben Sie Jørn gepflegt, als er hier bei Ihnen im Hospiz war?«, fragte Katrine Wraa die Krankenschwester, die vor ihr saß. Katrine stieg immer noch unangenehm der Geruch des kalten Rauchs in die Nase, der in ihren Kleidern hing, aber Helle Svanbjerg ließ sich nichts anmerken. Sie war Ende vierzig und strahlte Ruhe, Seriosität und Menschenkenntnis aus, sicher alles Eigenschaften, die man brauchte, wenn man seine Zeit mit Sterbenden verbrachte und tagein, tagaus mit Trauer, Angst und Wut zu tun hatte, dachte Katrine.
Helle Svanbjerg hatte Katrine vor Beginn des Gesprächs gesagt, dass sie sich nicht zu viel erwarten dürfe, da sie ja an ihre Schweigepflicht gebunden sei.
»Ja, ich war in den Monaten, in denen er hier lag, seine hauptsächliche Pflegekraft«, sagte sie.
Sie saßen in einem kleinen Aufenthaltsraum, der vermutlich für die vertraulicheren Gespräche genutzt wurde. Das Hospiz lag ruhig und friedlich außerhalb der Stadt. Katrine versuchte nicht daran zu denken, an was für einem Ort sie sich befand.
»Hatte er in seiner Zeit hier viel Besuch?«
»Nein«, antwortete Helle mit einem stillen Lächeln, das gleichermaßen warm und traurig wirkte. »Ab und zu kam ein Nachbar. Und einmal war seine Tochter da.«
»Nur einmal?«
»Ja«, bestätigte die Schwester ohne jeden Vorwurf in der Stimme oder eine
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