Schrei in Flammen
Andeutung, was sie persönlich davon hielt.
»Ich weiß nicht, ob Sie es gehört haben«, sagte Katrine, »aber Jørns Tochter wurde vor knapp zwei Wochen ermordet.«
»Ja, ich habe die Sache in den Medien verfolgt. Das ist fürchterlich. Haben Sie schon einen Verdächtigen?«
»Ja, aber es ist ein wichtiger Teil der Ermittlungen, auch andere mögliche Spuren zu verfolgen und uns ein vollständiges Bild von Maja zu verschaffen«, sagte Katrine. »Wir wissen sehr wenig über ihr Privatleben. Sie schien sozial wenig Umgang gehabt zu haben und hatte kaum Familie. Deshalb hatte ich die Hoffnung, dass vielleicht Sie uns etwas über Ihren Eindruck von ihr sagen könnten – und von ihrem Vater?«
Helle Svanbjerg holte tief Luft, bevor sie antwortete: »Wie ich Ihnen schon gesagt habe, unterliege ich der Schweigepflicht. Ich darf Ihnen nicht weitergeben, was ein Patient mir im Vertrauen gesagt hat. Andererseits will ich natürlich gern helfen, damit der Mord aufgeklärt werden kann. Wir müssen Frage für Frage vorgehen«, sagte sie. »Jørn hatte einiges auf dem Herzen, das er gern jemandem anvertrauen wollte, bevor seine Zeit abgelaufen war. Die einen führen solche Gespräche lieber mit dem Pastor, die anderen ziehen eine Krankenschwester vor.«
»Hat er mit Ihnen über Majas Kindheit und Jugend gesprochen? Wissen Sie zum Beispiel, wo Majas Mutter und Jørn sich kennengelernt haben?«
»Sie hat ihm geschrieben, als er im Gefängnis saß.«
»Und sie haben Kontakt gehalten, bis er wieder freikam?«
Helle kniff die Augen zusammen. »Ja, er ist zu Maja und ihrer Mutter gezogen, nachdem er seine Strafe abgesessen hatte. Und sie sind tatsächlich zusammengeblieben, bis Majas Mutter gestorben ist. Ich hatte den Eindruck, dass Maja ihn aber nie wirklich interessiert hat. Dabei wusste er, dass sie in der Schule gemobbt wurde, weil die Kinder mitbekommen hatten, dass ihr Vater ein Mörder war. Man hat ihr dort die schlimmsten Sachen an den Kopf geworfen. Und die anderen Eltern haben ihren Kindern verboten, mit ihr zu spielen. Aus Angst. Es war so schlimm, dass sie schließlich die Schule wechseln musste.«
»Das Stigma war hängengeblieben.«
»Er hat mir erzählt, dass sie ihn angeschrien hat und fast auf ihn losgegangen ist, als sie mit siebzehn von zu Hause ausgezogen ist. Er habe seine Strafe absitzen können, aber sie sei auf Lebenszeit gestraft. Diese Worte haben ihn sehr getroffen.«
»Maja war Prostituierte«, sagte Katrine.
Helle nickte.
»Hat er dazu etwas gesagt?«
»Nicht direkt, ich habe aber trotzdem gespürt, dass ihn das sehr traurig gemacht hat. Aber das geht wohl den meisten Eltern so, deren Kinder in einer solchen Situation landen.«
»Bestimmt. Aber … ich denke auch noch an etwas anderes. Viele Prostituierte sind in ihrer Kindheit oder Jugend Übergriffen ausgesetzt gewesen: Missbrauch, Inzest …«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Helle, »wirklich keine Ahnung. Und ich weiß auch nicht, was ich dazu sagen soll«, erwiderte sie mit fester Stimme.
»Wir wissen, dass Jørn neben Maja auch noch einen Sohn aus erster Ehe hatte, aus der Ehe also, die so tragisch endete«, sagte Katrine.
Helle nickte. Katrine sah ihr an, dass sie es wusste.
»Hat er Ihnen von dem Mord an seiner ersten Frau erzählt?«
»Das hat er, ja.«
»Und von seinem Sohn, Christian?«
»Ja.«
»Wissen Sie, wie Maja von Christians Existenz erfahren hat?«
Helle sah Katrine still an, während sie innerlich mit der Frage rang, wie viel sie erzählen durfte. »Jørn hat sich darüber wirklich Gedanken gemacht«, sagte sie schließlich. »Er war stark im Zweifel darüber, ob es überhaupt gut wäre, es ihr zu sagen. Sie hatten ja seit Jahren keinen Kontakt mehr. Aber vom ersten Tag an, seit er hier war, hat ihn das beschäftigt. Er wusste, dass sein Ende nah war, und hatte das Gefühl, in seinem Leben nie etwas richtig gemacht zu haben. Er hatte seine erste Frau umgebracht und das Leben seines Sohnes zerstört. Danach hat er das Leben seiner Tochter kaputtgemacht – auch wenn er das niemals klar ausgesprochen hätte. Und die Tatsache, dass seine beiden Kinder sich nie kennengelernt hatten, weil ihm immer der Mut gefehlt hatte, seiner Tochter zu erzählen, dass er seinen Sohn aus erster Ehe zur Adoption freigegeben hatte, setzte ihm extrem zu.«
»Das sind ja auch essentielle Fragen, wenn man im Sterben liegt.«
»Ja«, sagte Helle, »das stimmt. Er war aber wirklich …«, sie schüttelte langsam den Kopf,
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