Schrei in Flammen
Wer aussteigen will, kriegt echte Probleme, dann entpuppen sich diese Leute als die niederträchtigsten Scheißkerle … Dann zeigen sie ihr wahres Gesicht.«
»Das ist zumindest unsere Auffassung. Aber wenn wir richtig verstehen wollen, wie sie denken und die Welt sehen«, provozierte Katrine ihn, »müssen wir uns klarmachen, dass sie selbst ihr Handeln nicht als böse empfinden. Wir mögen sie für bösartig halten, aber das ist nicht ihr Bild von sich selbst. Die wenigstens Menschen halten sich selbst für böse.«
»Glaubst du wirklich, dass sie es okay finden, Waffen zu schmuggeln und Drogen an Minderjährige zu verticken?«
»Sie tun, was alle Menschen tun, die sich darüber im Klaren sind, dass sie eine moralisch oder juristisch strafbare Tat begehen: Sie legen sich eine Rechtfertigung zurecht.«
»
Wenn wir die Drogen nicht verkaufen, tun es andere, wir geben den Leuten nur, was sie haben wollen,
meinst du so was?«
»Genau. Und wenn jemand in seine Schranken verwiesen oder bestraft wird, ist das völlig okay, weil er entweder selbst darum gebeten hat oder den Preis genau kannte, er hätte ja nur machen müssen, was von ihm verlangt wurde. In ihrem Selbstverständnis gibt es für all ihr Tun und Handeln einen triftigen Grund. Und das hat in einem Milieu mit solchen Regeln und Werten natürlich einen selbstverstärkenden Effekt. Klinisch betrachtet kann die Erklärung natürlich auch in frühen emotionalen Störungen liegen, Beziehungsstörungen und so weiter, häufig wegen Vernachlässigung oder Misshandlung durch die Eltern, was wiederum zu einer extrem egoistischen, menschlich abgestumpften und narzisstischen Persönlichkeit führen kann.«
»Das sind ja keine hoffnungsvollen Aussichten. Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen …«
»Ja. Es gibt Psychiater, die der Meinung sind, derart geschädigte Menschen könnten niemals gänzlich geheilt werden, manche zweifeln sogar daran, dass ihr Zustand sich überhaupt bessern kann. Wenn ihnen eine Therapie angeboten wird und sie einwilligen, dann nur unter der Prämisse, dass es ihnen einen Vorteil bringt, etwa dass sie ihre Strafe unter besseren Bedingungen verbüßen oder so was in der Art. Sie haben eine extreme
What’s in it for me?
-Einstellung.«
»Und wie zum Teufel sollen wir ihnen dann helfen?«
»Na ja, viele Psychiater meinen, das Minimum wäre, sie an der ganz kurzen Leine zu halten. Sie brauchen klare Grenzen, was sie dürfen und was nicht, und es muss unmittelbar bestraft werden, wenn diese Grenzen überschritten werden.«
»Aber zurück zur Bösartigkeit«, sagt Jens, deutlich angeregt durch die Unterhaltung. »Könnte man sagen, dass wir glauben, böse wären immer nur die anderen? Nicht wir selbst?«
»Das trifft es ziemlich gut«, pflichtete Katrine ihm bei. »Böse sind immer nur die anderen. Die anderen haben uns angegriffen, wir haben uns bloß verteidigt. Das hat ein Bandenchef ausgesagt. Aber was ist das Böse?«
»Eine Art Urteil über das Handeln anderer?«
»Gute Frage. Früher in religiösen Auseinandersetzungen hat die christliche Kultur die Frage damit beantwortet, dass das Böse Satan ist. Heutzutage wird diese Frage eher von den Wissenschaften beantwortet, zumindest in unserem Teil der Welt, und dann kommt es natürlich darauf an, welche Wissenschaft man zu Rate zieht.«
»Und wenn ich nun dich frage?«
»Ich würde mich«, sagte Katrine und ließ den Blick über das Wasser und die Boote schweifen, als sie Langebro überquerten, »in der Philosophie bedienen, bei einem norwegischen Philosophen, Lars Svendsen, der vier Arten des Bösen unterscheidet. Svendsen würde wahrscheinlich sagen, dass Menschen wie Hector und das meiste, womit wir uns in der Taskforce beschäftigen, zu dem von ihm sogenannten ›dummen Bösen‹ gehören, bei dem einfach ein Defizit an moralischer Integrität und Intelligenz vorliegt, weil der Akteur nicht in Erwägung zieht oder darüber reflektiert, inwiefern seine Handlungen böse sind. Er ist ganz einfach nicht dazu in der Lage.«
»Nein, solche Gedanken halten sie nachts sicher selten wach. Und die anderen drei?«
»Svendsen spricht vom ›dämonischen Bösen‹, wo derjenige, der Böses tut, es einzig und allein aus dem Grund tut,
weil
es böse ist. Wobei Svendsen nicht glaubt, dass es das in der Realität gibt. Ich finde allerdings, dass man einige der schlimmsten Sadisten dieser Kategorie zuordnen kann.«
»Sie erleben eine Art Befriedigung, weil sie wissen, dass ihre
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