Schule für höhere Töchter
kriminalistischen Erfahrung uns das sagen, Sie wissen schon, was ich meine. Nun, die Polizei wird es bestimmt können. Kennt Ihr Mann die Polizeibeamten persönlich?« hatte sie dann ohne ihr gewohntes Fingerspitzengefühl weiter gefragt. Kate fand, unter diesen Umständen hätte Fingerspitzengefühl auch an Kaltblütigkeit gegrenzt.
»Haben Sie sich vergewissert…« fing Kate an, unterbrach sich dann aber. »Soll ich gleich kommen«, fragte sie, »mit Reed im Schlepptau, falls er keine fünfzehn unaufschiebbaren Termine hat?«
»Würden Sie das tun, meine Liebe? Julia ist schon auf dem Weg. Sie beide waren beim letzten Mal wirklich so wohltuend vernünftig, und dieser Fall hat deutliche Parallelen, natürlich abgesehen davon, daß die arme Frau tot ist. Erst der Junge und jetzt seine Mutter – wirklich eine bedauernswerte Familie.«
»Aber was, um alles in der Welt, hat die Mutter da gemacht – ich meine, sie hat sich doch wohl dort nicht versteckt, oder?«
»Was sie hier gemacht hat, darum geht es wohl, meine Liebe. Aber Tote reden nicht, es sei denn, die oberste Kriminalbehörde bringt sie dazu; ist das die richtige Bezeichnung dieser Instanz? Mr. O’Hara sagte, wenn die Polizei behauptet, die Hunde hätten es getan, sei sie keinen Pfifferling wert. Das ist der schlimmste Fluch, zu dem er sich, selbst bei heftigster Herausforderung, in Gegenwart von Damen hinreißen läßt. In heiteren Momenten habe ich mich amüsiert bei der Vorstellung, wie er wohl in der Army geflucht haben mag.«
»Sicherlich war kein Wort dabei, das Ihre Viertklässler heutzutage nicht schon kennen«, sagte Kate. »Wir sind bald bei Ihnen, hoffe ich. Reed ist gerade mit dem Duschen fertig. Wahrscheinlich hat er sein Repertoire heute morgen nur einmal geschmettert.«
»Sein Repertoire?« Miss Tyringhams Stimme klang auf mitleiderregende Weise so, als wolle sie dem Gespräch eine heitere Note geben.
»Er singt sich durch Rodgers and Hart oder Cole Porter. Gelegentlich auch Irving Berlin oder Kern, aber nur wenn er Frühlingsgefühle hat, was selbst im Frühling selten vorkommt.«
»Bitten Sie ihn, für mich ›June Is Bustin’ Out All Over‹ zu singen«, sagte Miss Tyringham. »Vielleicht bricht der Juni ja früher aus.«
»Rodgers and Hammerstein kann er nicht leiden«, sagte Kate. »Zu schnulzig, zu sehr heile Welt und zu wenig Gs am Wortende. Aber ich werde ihm ›Easter Parade‹ vorschlagen, vielleicht ist es ihm ja naheliegend genug und er versucht es. Ich lege jetzt auf, wir treffen uns ja gleich.«
Es ist schön und gut, wenn man versucht, so zu tun, als ginge das Leben weiter, aber als Reed und Kate zur Schule kamen und in der Halle mit Miss Tyringham sprachen, hing das Verhängnis wie eine Wolke über ihnen.
»Erzählen Sie mir, was passiert ist. Von Anfang an«, sagte Reed.
»Die Polizei ist jetzt oben«, bemerkte Miss Tyringham nervös.
»Kümmern Sie sich nicht um sie. Die macht ihre gewohnte Routinearbeit und wartet auf den Gerichtsmediziner. Wer hat sie gefunden?«
»Mr. O’Hara. Wird man sie bald wegbringen?«
»Ganz bestimmt. Sobald die Fotos gemacht sind, die Umgebung vermessen ist und so weiter. Fahren Sie fort.«
»Mr. O’Hara rief mich an, so gegen sechs, glaube ich. Wie gewöhnlich war ich schon auf und spielte Cello. Er hatte wie immer die Hunde ausgeführt. Als…«
»Was heißt: wie immer?« fragte Reed und überging die Tatsache, daß Miss Tyringham gewöhnlich um sechs Uhr morgens Cello spielte. Schon oft hatte er zu Kate gesagt, einer der interessantesten Aspekte bei der Untersuchung von Mordfällen seien die Gewohnheiten, die man bei höchst konventionell wirkenden Leuten entdeckte. Er vermutete, daß für eine so beschäftigte Frau sechs Uhr morgens die einzige mit Sicherheit ungestörte Zeit sein mochte, zu der sie von den Anforderungen der Schule noch nicht zu erschöpft war, um das Cello zwischen den Knien zu halten.
»Sehr früh am Morgen führt er die Hunde in den Park. Er benutzt dazu einen der Aufzüge, damit sie ihren Auslauf von der Arbeit unterscheiden können – das ist anscheinend bei Hunden sehr wichtig. Blindenhunde werden, soweit ich weiß, bei ihrem eigenen Auslauf von jemand anderem geführt als dem Blinden. Aber das gehört nicht zur Sache. Ich habe festgestellt, daß mich der ganze Streß leider dazu gebracht hat, vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Vielleicht«, fügte sie bedrückt hinzu, »ist es auch das Alter.«
»Keine Sorge«, sagte Reed. »Das ist Ihre
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