Schwarz. Weiß. Tot.: Storys
Unfall. Es war Mord.
Mehr später.
C.
Er las den Brief ein zweites Mal, mit gerunzelter Stirn. Dann faltete er den Ausschnitt auseinander. Eine Meldung mit der
Überschrift:
Kapstadt, De Waterkant: Anwalt stirbt bei bizarrem Unfall in Restaurant.
Daneben stand mit demselben schwarzen Stift und in derselben Handschrift wie der Brief eine Randnotiz:
13. Oktober. Die Burger.
Dann las er den Artikel:
KAPSTADT – Der bekannte Kapstädter Anwalt Dirk Holtzhausen (46) kam gestern unter mysteriösen Umständen in einem Restaurant
im Szeneviertel De Waterkant ums Leben. Die Polizei glaubt an einen merkwürdigen Unfall.
Holtzhausen saß gestern mit Freunden in dem beliebten Restaurant Balducci’s beim Mittagessen, als er plötzlich von einem bisher
nicht identifizierten, spitzen Gegenstand in den Hals getroffen wurde. Kurz darauf erlag er seinen schweren Blutungen.
»Wir vermuten, dass der Gegenstand von einer nahe gelegenen Baustelle oder von einem Schiff stammt« , sagte Polizeisprecherin Lianie Strydom. »Er muss nach dem Unfall in dem Durcheinander der Restaurantbesucher und Rettungskräfte
|126|
verlorengegangen sein. Bislang haben die Ermittlungen keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass Vorsatz im Spiel war. Wir hoffen
nun, dass die Autopsie weitere Anhaltspunkte bringt.«
Laut Mevrou Riana van Rensburg, die zum Zeitpunkt des Unfalls mit dem Opfer an einem Tisch saß, sei Meneer Holtzhausen plötzlich
»mit einem Ruck hintenüber gekippt« und habe »am Hals heftig geblutet«. Mevrou van Rensburg steht unter Schock und verlangte
eine vollständige Aufklärung des Geschehnisses. Der Verantwortliche müsse zur Rechenschaft gezogen werden.
Laut Kaptein Strydom wird die Polizei in dem Fall weiterhin mit Hochdruck ermitteln, doch leider konnte bisher keiner der
Zeugen Angaben über die Herkunft und die Art des Gegenstands machen, der den Tod von Meneer Holtzhausen verursacht hat.
Meneer Holtzhausen, der vor allem für seine gemeinnützige Arbeit bekannt war, hinterlässt eine Frau, Marie, und zwei Töchter,
Stefanie (19) und Drika (17). Am Mittwoch wird in der zentralen Gemeinde der niederländisch-reformierten Kirche in Kapstadt
ein Gedenkgottesdienst abgehalten.
October legte den Zeitungsausschnitt weg und nahm wieder den Brief zur Hand.
Mehr später
. Er schüttelte den Kopf, griff nach dem Kuvert und vergewisserte sich, dass der Brief wirklich an ihn gerichtet war.
An der Anschlussstelle Modderdam war er so in Gedanken, dass er auf der linken Spur in Richtung Mitchell’s Plain blieb. Die
Macht der Gewohnheit – zwanzig Jahre lang. Als er seinen Fehler bemerkte, war er derart im dichten Feierabendverkehr |127| eingekeilt, dass er erst in Greenlands drehen und dann zurück in Richtung Durbanville fahren konnte.
Es war schon Viertel nach fünf, als er die Glastür des Restaurants in der Oxfordstraat öffnete.
Kaapse Kos
stand in eleganten weißen Buchstaben über dem Eingang. Seine Frau Pearlie hatte darauf bestanden, diesen schlichten Namen
zu wählen – »Küche der Kap-Region«. October hatte dafür plädiert, das Restaurant in Anspielung auf das Paradies »Pearlie’s
Gates« zu nennen, schließlich sei ihre Küche geradezu himmlisch. Doch sie hatte erwidert: »Nein, danke, mein Herz, aber das
klingt mir zu hochtrabend.« Und sie hatte recht gehabt – wie immer.
Aus der Küche wehte der köstliche Duft von Basmatireis.
»Hallo, Uncle Johnnie«, begrüßte ihn Muna Abrahams fröhlich und fuhr fort, die Tische zu decken. Muna war jung und schön –
Pearlies Nichte und ihre rechte Hand.
»Hallo, Muna. Wie geht’s, wie steht’s?«
»Es geht nicht nur, es läuft, Uncle Johnnie«, antwortete sie, wie sie es von klein auf gelehrt hatte. Und sie lachte ihr hübsches
Lachen.
Er ging weiter nach hinten durch und stieß die Schwingtüren zur Küche auf. Pearlie stand am Herd, Zuyane Adams in seiner weißen
Kochkluft neben ihr. Aufmerksam und konzentriert rieb er Fischfilets mit der Masala-Gewürzpaste ein. October hielt einen Augenblick
inne und beobachtete seine Frau, seine Meisterköchin, sein molliges Herzblatt, schon seit fast vierzig Jahren. Sie spürte
seine Anwesenheit mit ihrem sechsten Sinn und lächelte bereits, ehe sie sich umsah. Er gesellte sich zu ihr. Ihr fiel auf,
dass er hinkte, und sie fragte besorgt: »Das Wetter?«
|128| »Bestimmt«, sagte er und küsste sie. »Der Sommer lässt dieses Jahr auf sich warten.«
»Hallo, Uncle
Weitere Kostenlose Bücher