Schwarze Blumen auf Barnard Drei
Der Schirm eines Monitors sprang an, dahinter dumpfes Murren, wie Donner grollt. Giron erblickte die Piks eines Gebirges aus der Vogelperspektive, Gipfel, spitzig und steil wie kosmonautische Denkmäler der heroischen Zeit: die Projektion eines dreidimensionalen Diagramms als Computergrafik. Das Gebirge begann sich zu drehen, als ziehe der Vogel eine Schleife in der Luft. Die Gipfel wanderten über die Nullinie, einer nach dem anderen. Der Monitor zählte die Ereignisse. Nach einer vollen Rotation blieb der Zähler stehen und wies eine Dreiundachtzig vor: dreiundachtzig Gipfel.
Giron kannte die Zahl.
Danach fuhr die Grafik fort zu rotieren, schneller, die Wellenlängen des Donners verkürzten sich wie zum Wispern weiblicher Stimmen, stiegen hinauf zum Diskant fernen Klirrens von zerbrechendem Glas.
»Ein Bonifaziuspfennig erzählt seinen Traum«, sagte Orlow.
Giron glaubte zu spüren, wie alles Blut in der Nähe seines Magens zusammenfloß. In einem Blitz vermeintlicher Klarsicht flogen ihm Erinnerungen an viele unverstandene Szenen zu und gerannen zu etwas Zusammenhängendem, Einheitlichem, Hellem, das freilich zu grell und zu blendend in seinem Hirn zu wirbeln begann, als daß er das Wesentliche hätte erkennen können.
Das Klirren brach ab. Giron tastete nach rückwärts, um etwas Festes zu finden, an das er sich halten konnte. Orlow hetzte ihn weiter. Giron sah den Mann wie durch einen Scherben unreinen Glases hindurch, das sich nur langsam klärte. Orlow hantierte an einem anderen Manual, heftiger, und die flatternde Figur auf dem Monitor erstarrte zu Kurven einer modulierten Frequenz.
»Tschuks Stimme, wenn er schreit«, sagte Orlow. »Gewalt als gewöhnliche Konserve. Ein Band und ein Recorder waren dazu nötig. Weiter nichts.«
Dann fiel auf das Bild ein zweites von oben herab. Orlow sagte: »Der Pfennig erzählt einen anderen Traum. Träume sind Erinnerungen, Wiederkünfte von… Betroffenheit.«
Als die Kurven übereinanderlagen, waren sie kongruent. »Ich habe noch viele solcher Träume«, sagte Orlow, »Träume von Stimmen. Von unseren Stimmen, auch von deiner, Salman. He, Salman! Wach auf und denk dir was dazu!«
Giron fuhr hoch. »Wörter?«
»Nein. Noch nicht. Nur Stimmen. Vielleicht… Unsere Wörter? Was sollten sie damit?«
Plötzlich waren all die böse summenden Fliegen wieder da. »Schweig!
Es ist unmöglich, wie grob und wie dumm wir herumstochern in dieser Welt!« schrie Giron.
Girons Ausbruch übersprang zwei hintereinanderliegende Kabinenwände, die Distanz von fünf oder sechs Metern, drang in die Messe und erzeugte dort ein sekundenlang währendes Schweigen.
Die Front des BECKMESSERS war aufgerissen und wies Innereien
vor, ausgeräumte Kavernen, das Glitzern nackter Kontaktleisten. Auf den Panels lagen Hard- und Software herum, ein paar Tassen standen dazwischen, halbabgegessene Teller, vier Schirme arbeiteten. Jermakow sah grau aus und wie nicht wirklich vorhanden, Blicher war da und die Bean, Tschuk saß weiter hinten, als habe er nichts zu tun.
Der Ruf liege auf der Antenne. Beweis: N sechs, N achtzehn, Q neun. Q neun mit theoretischem Wert und aufs Milliwatt genau.
Aber er gehe nicht ab!
Also ein Faradaykäfig um das Richtparabol?
Ob den schon jemand gesehen habe?
Ob vielleicht schon jemand geliertes Wasser gesehen habe?
In diesem Augenblick hörten sie Giron.
Blicher zerrte an einem Einschub und behandelte das Ding ganz
plötzlich mit delikatem Zartgefühl. Eine Weile passierte gar nichts. Dann fragte die Bean verdattert: »Salman? Der auch?« Aber das hörte niemand.
Tschuk brüllte aus seiner Ecke los: »So ein Unsinn! Wer spielt hier
solchen Unsinn hoch?« Er rieb sich den Nacken und sagte, auf einmal ganz friedlich: »Wir arrangieren uns zu einem quasi geschlossenen System. Keine Kunststückchen. Kein Risiko. Mach Schlösser an die Schleusen, Andrej, und alles wird normal.«
Das Graue, Verschwommene schien von Jermakow abzufallen. »Unsere Rapporte bleiben in der Antenne stecken. Die BEAGLE hört uns nicht«, sagte er fast gelassen. »Für sie sind wir verstummt. In diesem Fall folgt die BEAGLE den Algorithmen der Planvariante R zehn. Ermittlung von Ursachen, sechzig Stunden. Nun…, noch siebenundfünfzig Stunden und sechsunddreißig Minuten, wie ich sehe. Bei negativem Ergebnis beginnen die Karenzzeit und die Kalkulation der neuen Trajektorie nach R achtzehn, dreißig
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