Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Totenköpfe, Tulpen und schon wieder das allgegenwärtige Johanniskraut. Hinter ihm schlüpften nach und nach Ben, Adam, Millepertia und zum Schluss der Drummer in die Gruft.
»Hübscher Sarg«, flachste Adam. »Versprecht mir, dass ich auch so einen kriege, wenn es für mich abwärtsgeht.«
»Kannst du haben«, erwiderte Ben. »Und zwar inklusive eines so muffig riechenden Grabgewölbes. Erinnert dann alle daran, wie du nach den Konzerten immer gestunken hast.« Die Devils lachten.
Millepertia hingegen wirkte noch immer überaus ernst. »Also gut … wo könnte man hier irgendetwas verstecken?«, fragte sie.
»Vielleicht hier drin?« Der Drummer klopfte missmutig gegen den Zinnsarg. »Ich will nicht hoffen, dass wir das Scheißding öffnen müssen.«
»In dem Sarg dürfte dem Schild oben zufolge bloß Asche zu finden sein.« Lukas richtete den Strahl seiner Lampe auf die Wände. »Aber ich glaube eh nicht, dass wir die Totenkiste öffnen müssen. Denn das hier ist nicht das Grab des Mönches. Und das suchen wir ja. Wenn sich Karl Wilhelm von Baden-Durlach aber nicht im Grab Severins hat bestatten lassen, dann vielleicht in seiner unmittelbaren Nähe? Schließlich gehen wir davon aus, dass die einstige Kirche über dem Grab errichtet wurde.«
Millepertia wandte sich den Engeln in den Raumecken zu. »Das sind vermutlich die vier Erzengel: Michael, Raphael, Gabriel und Uriel«, sagte sie.
Lukas sah zu den geflügelten Plastiken, konnte jedoch lediglich Michael anhand seines Schwertes identifizieren. Die drei anderen Engel sahen für ihn mit ihren fließenden Gewändern und den zum Gebet gefalteten Händen vor der Brust nahezu identisch aus.
Millepertia schritt derweil im Licht des Smartphones die drei religiösen Motive an den Grabwänden ab. Es handelte sich um große Wandgemälde mit biblischen Darstellungen, auf denen jeweils ein Engel mit auffallend femininen Zügen zu sehen war, der auf allen drei Wandgemälden das gleiche himmelblaue Gewand trug. Auf dem Bildnis rechts des Sarges stand er vor einem Räucheraltar, über dem eine Taube aufstieg. Ein Greis kniete neben ihm, reckte die Hände zum Himmel empor und schien selig den Worten des Geflügelten zu lauschen. An der Wand am Fußende des Sarkophags richtete der Engel sein Wort an eine Frau mit gefalteten Händen. Lukas glaubte das Motiv zu kennen, aber ihm wollte nicht einfallen, woher. Auch die dritte Darstellung an der Wand links des Sarges kam Lukas diffus bekannt vor. Dort taufte der Engel Jesus Christus im Jordan.
»Komisch«, flüsterte Millepertia. »Ich hätte wenigstens
eine
Abbildung erwartet, auf der der Verstorbene schlafend im Hardtwald zu sehen ist.«
»Vielleicht hielt er das nicht für notwendig«, brummte Ben. »Nicht zu übersehen ist allerdings, dass der gute Karl glaubte, der Erzengel Gabriel habe ihm die Vision zur Stadtgründung geschickt.«
Lukas sah ihn fragend an. »Wie kommst du darauf?«
Ben lächelte. »Sieh dir den Engel auf den Wandgemälden doch mal genauer an. Das sind alles Darstellungen Gabriels.« Er wies zur Wand zu ihrer Rechten. »Das da ist die Verkündigung des Erzengels Gabriel an Zacharias, bei dem er ihm die Geburt Johannes des Täufers ankündigt. Die Abbildung mit der Frau hier dürftest du kennen: Gabriel prophezeit der Jungfrau Maria, dass sie Jesus gebären wird. Und hier, bei dem Bild mit der Taufe, ist ebenfalls Gabriel zu sehen.«
Millepertia runzelte die Stirn. »Hat nicht Johannes der Täufer Jesus getauft?«
»Ja, könnte man meinen«, nickte Ben. »Nur gibt es nicht wenige, die glauben, dass Johannes der Täufer von Gabriels Licht erfüllt wurde und der Erzengel so quasi durch ihn hindurch gewirkt hat.«
»Meine Fresse, du bist ja der wandelnde Prediger geworden«, grinste Adam, doch Ben winkte ab: »Ach, halt die Schnauze, Adam.« Er betrachtete die Engelsdarstellung genauer, dann fuhr er fort: »Gabriel galt schon immer als Verkünder und Überbringer himmlischer Botschaften – was nur zu gut zu der Vision des Verstorbenen passt. Übrigens gilt Gabriel auch im Islam als der Engel der Offenbarung, der Mohammed die Verse des Koran übermittelte.« Ben zwinkerte Millepertia zu. »Und nicht zuletzt ist Gabriel der einzige Erzengel, der immer wieder in weiblicher Gestalt dargestellt wird.«
Lukas verglich die Engelsabbildungen und stellte fest, dass Ben recht hatte.
»Hey, diese Engelsstatue trägt ebenfalls weibliche Züge«, verkündete die Bassstimme des Drummers von jenseits des Sarges.
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