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Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
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ihrer Hände möglicherweise die letzte vertrauliche Berührung sein könnte,
die er in diesem Leben von seiner Tochter erhielt.
    Als der Wagen vor dem Eingang zur Kapelle hielt, warteten
sie, bis Tommy die Tür auf der Seite des Reeders geöffnet hatte. Georg
Spenning ging um das Auto herum und half seiner Tochter hinaus.
    Bette Lines Figur war fast athletisch. Sie hatte lange Beine,
eine schlanke Taille und breite Schultern. Das Brautkleid lag wie angegossen um
ihren Körper und ihr Dekolleté, die langen, weißen Handschuhe reichten bis
über die Ellenbogen und unterstrichen den Pfirsichton ihrer Haut an Oberarmen
und am Übergang von den Schultern zum Nacken. Das blonde Haar war
hochgesteckt, was ihr ovales Gesicht mit den leicht schrägen, mandelförmigen
Augen betonte. Sie leuchteten wie fein geschliffene Opale unter den scharf
konturierten Augenbrauen, die so symmetrisch und elegant geschwungen waren,
dass sie fast aussahen wie die ausgebreiteten Schwingen eines majestätischen
Vogels, der im milden Mittelmeerwind schwebt. Die Brauen rahmten einen geraden
und makellosen Nasenrücken ein, darunter ein herzförmiger Mund. Die leicht
geöffneten Lippen verliehen dem Gesicht etwas Neugieriges und zeigten zudem
eine Reihe weißer Zähne, wobei die Eckzähne eine Nuance länger waren als
die anderen. Jetzt schaute sie zu ihrem Vater hinüber und fragte mit sanfter
Stimme: »Sind wir so weit?«
    Als Georg Spenning wenige Minuten später in der Tür stand,
seine Fliege überprüfte und sich bei seiner Tochter einhakte, und als die
lauten Orgelklänge von Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch ihnen
entgegendröhnten, spürte er, wie der Arm seiner Tochter zitterte. Sie sahen
einander an. Georg Spenning holte tief Luft, dann schritt er langsam und
feierlich dem Altar entgegen. Ohne sich umzusehen, bemerkte er, dass die
Kapelle voll war. Ein Blitzlicht leuchtete auf. Das war das Signal. Weitere
Lichter blitzten auf. Ein vollzähliges Publikum verlieh der Szene eine
besondere Wertigkeit, dachte er. Dass diese Prozession, die Inszenierung seiner
selbst und seiner Tochter, diesen schillernden Rahmen bekam, ließ ihn die Wahl
ihres Lebensgefährten für einige Sekunden milder betrachten. Erling Sachs war
ein großer und schlaksiger Mann mit einem viereckigen, schwarzen
Brillengestell und zur Seite gekämmten braunen Haaren. Sein Mund war v-förmig
und hatte schmale Lippen, die er, nach Spennings Ansicht, viel zu häufig
hochzog, um Zähne zu zeigen, die aussahen wie ein Kühlergrill der besonderen
Art.
    Georg Spenning drehte seinen Kopf kaum einen Zentimeter, bis
er seine Tochter im Blick hatte, und bemerkte, wie sie und der Bräutigam sich
ansahen. Eigentlich sind sich die beiden auf eine Art ähnlich, dachte er noch
einmal. Hauptsächlich deshalb hatte er der Wahl seiner Tochter nicht
widersprochen. Erling Sachs und Bette Line waren zwei Menschen, die den anderen
nie in dem Maße anbeten würden, wie sie sich selber anbeteten.
    Drei Personen warteten neben Erling am Altar: die Trauzeugin
seiner Tochter, Synnøve Ulrichsen, der Pfarrer Frode Arnkværn und der
Trauzeuge des Bräutigams, Vebjørn Lindeman. Im Stillen wunderte er sich, dass
Vebjørn sich darauf eingelassen hatte. Aber sein Gesicht war wie immer
unergründlich, auch als sich ihre Blicke begegneten. Allein die Tatsache, dass
beide dem Blick des anderen standhielten, verriet, dass ihre Gedanken um
dieselbe Frage kreisten.
    Die Orgelklänge in der Kapelle von Grini erhoben sich zum
Crescendo, und Georg Spenning dachte, dass Ereignisse nie so wurden, wie man
sie sich vorher ausgemalt hatte. Man musste die Dinge genießen, wie sie waren.
Dies war Bette Lines Tag. Nicht mehr und nicht weniger.

3
    Anders! Anders, bist du wach?«
    Der Traum löste sich auf, und er spürte, wie sein Bruder
ihn am Arm rüttelte. Aber er wollte nicht aufwachen. Er bewegte sich nicht.
    Sein Bruder schüttelte ihn noch einmal. Per Oles Finger
kniffen ihn in die Nase.
    »Lass mich«, sagte Anders. »Ich bin müde.«
    »Du musst aufstehen«, sagte Per Ole. »Wir müssen den Bus
nach Hause erwischen.«
    Die Stimme ihrer Oma: »Bist du krank, Anders? Du bist doch
sonst nicht so müde, immer früh auf den Beinen, ohne zu weinen!«
    Per Oles Stimme: »Anders war heute Nacht unterwegs.«
    »Kümmer dich um deinen eigenen Kram!«
    Die Stimme ihrer Oma: »Na, sprich nicht so, Anders, komm und
iss Frühstück mit uns.« »Warum müssen wir nach

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