Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
gerade zuhörte, dass Gethel eine Antwort auf das hätte, was ihn quälte. Und ein Heilmittel.
»Ihr habt recht damit, Euch zu fürchten«, flüsterte der Gelehrte. Alles, was er sagte, war ein Flüstern. Corban hielt es für ein kleines Wunder, dass der Mann überhaupt noch sprechen konnte. Gethel hatte während ihrer Begegnung in Cardental kränklich ausgesehen, aber jetzt war er ein wandelnder Leichnam. Seine Augen waren wässrig und von grauem Star befallen; seine Haut hing lose an ihm herab wie die Lumpen einer Vogelscheuche. Seine Nägel waren so lang geworden, dass sie sich wie schimmelige Korkenzieher in die Innenflächen seiner Hände bohrten.
»Warum? Sagt mir, warum.« Corban hatte Gethel nicht in das volle Ausmaß seiner Ängste eingeweiht – hatte ihm in Wahrheit überhaupt nicht viel erzählt –, aber als er nun von Angesicht zu Angesicht vor dem Mann stand, war er plötzlich davon überzeugt, dass er auch gar nichts zu sagen brauchte. In den trüben Augen des Gelehrten sah er ein Spiegelbild seiner eigenen Verzweiflung.
»Das Ernten des Steins war nicht einfach«, fuhr Gethel fort. »Wir mussten Siegel aufbrechen, mussten altem Bösen trotzen … Duradh Mal war nicht verlassen, nein. Nicht in den Tiefen, wo der Schwarzfeuerstein lag. Dort fanden wir Gräuel. Dinge ohne Namen. Ich konnte sie mit meinen Zaubern verwirren und blenden, und wir haben den Schwarzfeuerstein aus ihren Höhlen gestohlen … aber sie haben uns verfolgt, auf ihre Art. Ein altes Böses lebt im Herzen dieses Berges. Ein alter Tod. Er ist hungrig, und man kann ihm nicht leicht entfliehen.«
»Ihr habt mir erzählt, Ihr hättet den Schwarzfeuerstein gereinigt«, erwiderte Corban. »Ihr habt gesagt, er sei gefahrlos.«
»Und das war er. Er war es.« Gethel rieb sich die runzelige Haut unter seinen Augen. »Es gab … Komplikationen.«
»Was für Komplikationen?«
»Ihr habt meinen armen, verstorbenen Lehrling Belbas gesehen. Er war der Erste, aber es gab noch andere. Viele andere. Duradh Mal ist ein kranker Ort. Ein verfluchter Ort. Seine Krankheit … klebt an den Dingen, die man herausholt. Ich habe einen großen Teil davon gereinigt … aber etwas bleibt haften. Es sickert in den Geist und die Seele der Schwachen, beutet sie aus und wendet sie gegen mich.«
»Was ist damit?«, fragte Corban ungeduldig. Er hatte genug von Gethels Wahnvorstellungen über magische Verschwörungen in den Briefen des Mannes gelesen, in denen er ebenso oft vage Anspielungen auf ihre Ränke machte, wie er um Geld bat. Gethel hatte nie weiter erklärt, was diese gesichtslosen Feinde seiner Meinung nach genau taten, geschweige denn, wie er ihnen entgegentreten wollte – oder was das alles mit Corbans Problemen zu tun hatte.
»Ich musste lernen, sie zu kontrollieren. Sie zu finden und aufzuhalten. Einige der verdorbenen Seelen waren deutlich zu erkennen. Sie bekamen gewalttätige Wutanfälle. Schlugen um sich. Sie habe ich mithilfe stärkerer und loyalerer Freunde vernichtet. Aber es gab andere, die im Verborgenen blieben und mich in subtileren Fallen fangen wollten. Diebe und Spione … Diebe und Spione, welche die Masken der Loyalität trugen. Das Feuer offenbart ihr wahres Gesicht, aber … das habe ich nicht sofort herausgefunden. Einige sind mir lange genug entkommen, dass sie ihre Absichten in die Tat umsetzen konnten. Eine davon könnte darin bestanden haben, die Krankheit in dem Schwarzfeuerstein, den ich gereinigt hatte, wieder zu erwecken. In diesem Fall … durch ihre Bosheit können sie von mehreren Seiten angreifen. Unwirkliche Stimmen, Delirium … andere Dinge.«
»Was für andere Dinge?«
Gethel öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Er schüttelte den Kopf und lächelte das schwache, schiefe Lächeln eines Mannes, der weiß, dass man ihm keinen Glauben schenken wird. »Ungeheuer. Sie haben Männer in Versuchung geführt und sie in Ungeheuer verwandelt. Sie haben verdorben, was immer sie verderben konnten … sogar mich selbst, für kurze Zeit.«
»Aber Ihr könnt sie aufhalten?«
»Ich kann es«, bestätigte Gethel. »Ich habe es getan.« Er befingerte das kleine Sonnenmedaillon, das in die Innenseite seines Gürtels gestickt war. Er hatte noch nie zuvor das Zeichen eines Gottes getragen – hatte sich seiner Freiheit vom angeblichen Aberglauben gerühmt –, aber Corban war nicht geneigt, ihn deswegen zu verspotten. Wenn es funktionierte, würde er selbst ein Medaillon tragen. Ein Dutzend Medaillons.
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