- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Meph in sie hineinlesen mochte, und schenkte Tee nach. Während er sich die Lippen daran verbrannte, verspürte er das Bedürfnis, sich und seine Arbeit zu verteidigen.
»Sie brauchen sich nicht die geringsten Sorgen um Ihre Daten zu machen. Sehen Sie«, er stellte die Tasse ab und zählte an den Fingern auf: »Ihre Musikdateien sind kopiergeschützt. Das heißt, ich könnte sie gar nicht auf meinen eigenen Pod kopieren. Ihre Bücher, Filme, TV-Aufzeichnungen: Alle auf die gleiche Weise gesichert. Ich könnte mich an Ihrer MyLife-Seite zu schaffen machen, aber damit würde ich Ihr Vertrauen verspielen und meinen Ruf im Netz gefährden. Aus dem gleichen Grund können Sie sich darauf verlassen, dass ich Ihre Zugangsdaten für Onlinespiele und Shoppingseiten in Ruhe lassen werde. Und die wirklich wichtigen Daten sind ohnehin gesondert verschlüsselt: Geburtsurkunde, Führerschein, elektronischer Pass, Finanz- und Steuerdaten, Krankenakten und so weiter. Diese Dateien kann ich gar nicht öffnen, ohne dass Sie es mit einem Fingerabdruck bestätigen. Sie haben also nichts zu befürchten.«
»Was ist mit meinen privaten Dateien? Briefe, Tagebücher, solche Sachen?«
»Was soll damit sein?« Er deutete zum Fensterbrett. »Sie zeigen mir doch auch freiwillig Ihre Fotos.«
»Nun … Das ist etwas anderes. Woher weiß ich, dass Sie nicht in meinen Geheimnissen herumschnüffeln?«
»Die interessieren mich nicht.«
»Kommt es denn darauf an? Sie hätten jedenfalls Zugriff auf all diese Daten.«
Meph wurde nicht schlau aus Cosima Hauser. Ihre Haltung zum Netz kannte er sonst nur von der anderen Seite des digitalen Grabens, von Medienleuten, Politikern und Alten. »Darf ich Sie etwas fragen? Wenn Sie so … Wenn Ihnen Ihre Daten so viel bedeuten, warum bin ich dann hier?«
Sie lächelte. »Sprechen Sie es ruhig aus. Sie halten mich für altmodisch. Nein, Sie brauchen sich nicht dafür zu entschuldigen. Ich weiß doch selbst, wie sehr sich die Welt in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren gewandelt hat. Schließlich profitiere ich davon mehr als viele andere.«
»Sie meinen Ihre Videoaufsätze.«
»Sie verfolgen sie?«
Meph nickte, blieb jedoch vorsichtig. Eben im Aufzug hatte er Cosima Hausers Namen getriggert und die ersten zehn Suchergebnisse überflogen.
»Ich könnte kaum über die Auswirkungen des allgegenwärtigen Internets auf Individuum und Gesellschaft sprechen, geschweige denn damit berühmt werden, wenn das Netz gar nicht existierte. Und meine Bekanntheit ist auch der Grund, warum ich mich an Sie gewandt habe. Ich werde bald sechsstellig.«
»Einhunderttausend Friends auf MyLife?«, staunte er. »Und ich dachte, ich sei bekannt. Ich bin noch nicht einmal ein Zehntausender.«
»Mit meinem Essay über die Digitalen Schafe habe ich wohl einen Nerv getroffen. Möglicherweise habe ich mich in den Netznutzern getäuscht. Vielleicht sind sie doch mehr als gelangweiltes Vieh, das bloß unterhalten werden will. Aber vielleicht betrachten sie mich auch einfach nur als ein Maskottchen. Cosima Hauser, der jüngste Hype, den man unbedingt in seiner Friends-Liste haben muss.«
Sie winkte ab. »Wie dem auch sei. Ich habe lange mit mir gerungen und schließlich eingesehen, dass mein Pod etwas hermachen muss, wenn ich mich im Netz behaupten will. Meine Publikumsvorträge halte ich ja auch nicht im Pyjama. Und so kam ich auf Sie. Ihre Designs sind einfach die besten, die ich kenne.«
Meph spürte, wie er rot wurde. »Die Standardoberfläche ist aber auch wirklich scheußlich. Ich kenne niemanden, der heutzutage noch einen echten Schreibtisch hat.«
»Ich habe einen. Aber er ist eindeutig hübscher als die Standardoberfläche eines Pods.«
Meph lachte höflich. Auf dem Fensterbrett projizierte der elektronische Bilderrahmen wieder Cosimas Familienporträt in die Luft. Die gespeicherten Bilder waren einmal durchgelaufen und begannen von Neuem.
»Meph«, sagte Cosima, »ich denke, es wird Zeit, dass Sie mit Ihrer Arbeit beginnen.«
Er gab sich Mühe, sich seine Erleichterung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. »Sehr gerne. Dann konnte ich Ihre Zweifel also ausräumen?«
»Das nicht. Aber Sie haben dieses unbedingte Vertrauen in das Netz, das mich beeindruckt. Ich bin nicht so jung wie Sie, wissen Sie. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als es noch kein Internet gab.«
»War es wirklich so schlimm, wie man sagt?«
Sie lachte auf. »Da sehen Sie, was ich meine. Im Gespräch mit Ihnen fühle ich mich wie jemand,
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