Schwarzwaelder Dorfgeschichten
das Abenteuerliche, Salbungsvolle griff tief ein. Als das Stück zu Ende gelesen war, fragte Mathes: »Wie ist es denn mit den Räubern im Keller gegangen? Sind sie verbrannt oder hat man sie gerichtet?«
Der Lehrer mußte über diese theilnehmende Frage lachen, er wußte aber keine Antwort; vielleicht ist einer der Leser so gut und läßt ihm eine zukommen.
Mitunter wurden auch die alten Volksbücher gelesen, und besonders die Schildbürger erregten großen Jubel.
Allgemeine Bemerkungen in sein Taschenbuch einzutragen, dazu hatte der Lehrer nur selten Zeit und Stimmung; was er dachte, gab er sogleich den Männern preis, und was er dachte und fühlte, offenbarte er Hedwig und es war ihm genug, es so ausgesprochen zu haben. Dennoch finden wir einige Bemerkungen in den früher angezogenen Blättern:
»Wenn ich diese Blätter ansehe, ist es mir oft, als war ich früher ein sonderbarer Egoist; ich habe die Welt nur in mich aufzunehmen, nicht mich an sie hinauszugeben getrachtet. Was ist all' die eigensüchtige Verfeinerung der Gefühle gegen einen einzigen Gedankenfunken, in eine fremde Seele geworfen? Das ist tausendmal mehr werth als alle noch so sinnreich schwelgerischen Betrachtungen. Es ist gut und war wohl nöthig, daß ich diese hinter mir habe ....«
»Wie gar leicht ist es, groß, vornehm und gelehrt zu erscheinen, wenn man sich vom Volke zurückzieht, sich einen besondern Palast des Wissens und Denkens auferbaut, eine Burg auf hoher Bergesspitze, fern von den Thalbewohnern. Steigt man aber herab zu den Menschen in den Niederungen, lebt man mit ihnen und für sie, da erfährt man's oft, wie man bisweilen die einfachsten Dinge nicht weiß, die besten Gedanken nicht ahnt. Ich habe einmal gelesen, daß es Fürsten gibt, die sich dem Volke nie oder nur selten zeigen; da ist es freilich leicht, sich mit Majestät zu umhüllen.«
»Es ist tief bezeichnend und Wohl sinnbildlich, daß die Schriftsprache Wort und Begriff Bauer noch nicht bestimmt zu dekliniren weiß: der Bauer, des Bauern und – des Bauers.«
»Wie der Athem der Erde und des Meeres aus den höheren Regionen wieder als erfrischender und befruchtender Regen herniederträufelt, so kann und muß auch der Volksgeist, sein Denken und Fühlen aus der höheren Region des Schriftenthums wieder herabgelenkt werden in seinen Ursprung, das Volksgemüth.«
»Gewiß war mancher der berühmten griechischen Helden nicht gebildeter, so was man eigentlich gebildet nennt, als mein Hansjörg, Kilian, Mathes, Thaddä, Wendel u.v.a., von dem Buchmaier gar nicht zu reden; aber durch die öffentlichen Staats- und Rechtsverhältnisse, durch das öffentliche Kunstleben, durch den Gottesdienst, der aus dem innersten Kern des Volkslebens hervorgegangen, war eine Masse von Gedanken, Gefühlen, Anschauungen und zarten Regungen in der Luft. Die Leute lernten und hörten nicht wie wir bloß biblische Geschichten, Erzählungen von Menschen, die in ganz anderen Verhältnissen gelebt und keinen unmittelbaren Vergleich zulassen. Sie hörten von Vorfahren, die ähnlich gelebt wie sie selber, so und so gehandelt, so und so gedacht, einzelne Aussprüche und Anekdoten erbten sich fort von Geschlecht zu Geschlecht; alles das ging ihnen nahe, und wo es drauf und dran kam, waren die Nachkommen Helden und großsinnige Menschen wie ihre Vorfahren. Uns aber ist die Geschichte eines fremden verlorenen Volkes, des jüdischen, die heilige geworden, nicht die Geschichte unserer Nation ... Die Griechen kannten ihren Homer auswendig, er gab ihnen Sprüche und Bilder, die auf ihr Leben paßten: wir Deutschen haben noch keinen, der uns ganz das wäre; Schiller ist nicht für die ganze Nation in allen Bildungsschichten. Wir haben aber eine Nationalweisheit in den Sprüchwörtern, die sich unabhängig vom alten und neuen Testament gebildet hat. Wir haben das Nationalgemüth in schönster Fassung im Volksliede; das hatten die Griechen nicht.«
Bald nach der Stiftung des Lesevereins hatte der Lehrer auch einen Gesangverein aufgebracht; außer einigen jungen Männern hatten sich fast alle ledigen Burschen hiezu versammelt. Der Adlerwirt ward hiedurch versöhnt, denn der Gesangverein wurde in seine obere Stube verlegt. Obgleich unser Freund das Ganze im stillen leitete, überließ er doch die sichtbare Regierung dem alten Lehrer, der zu diesem Zwecke trefflich zu verwenden war. Klugerweise wurden hauptsächlich Volkslieder eingeübt. Die Leute freuten sich gar sehr, ihr Eigenthum hier verschönert in
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