Schwarzwaldau
lassen, um dann bei nächster Gelegenheit gleich so mächtig hervorzubrechen? Bei Agnes und Caroline verwundere ich mich nicht. Eine junge Frau, welche bereut, daß sie Frau wurde: ein Mädchen über die Zwanzig, bedauernd, daß sie noch nicht Frau ist! können zwei solche Freundinnen wohl jemals fertig werden, ihre Gedanken, Gefühle, Klagen, Hoffnungen sich mitzutheilen? Ihnen wird der Stoff nicht ausgehen, so lange das kleine Wiesenbächlein sich in den kleinen Gartensee ergießt.
Was Agnes Carolinen über sich und Emil anvertraut, wissen wir noch nicht; denken seiner Zeit mehr davon zu erfahren, als wir gern vernehmen werden. Jetzt gerade ist Caroline im Zuge, das Verzeichniß von jungen Männern zu vervollständigen, die mehr oder minder günstigen Eindruck auf sie hervorgebracht; eine Empfänglichkeit, die Agnesen an der Freundin befremdete, weil sie ihr selbst fehlte. Es war schon ziemlich lang dieß Verzeichniß; es reichte von Sachsen nach Böhmen und wieder zurück, von Rumburg nach Zittau, wie wir mit einem Bruchstück belegen. Caroline sagte, – oder murmelte vielmehr, im eintönigen Riesel-Quellen-Tempo, wo Wort an Wort, wie Welle an Welle sich kräuselnd schmiegt: »In Zittau hat Vater einige Geschäftsfreunde aus der Zeit, da er überhaupt noch Geschäfte machte. Als er diese vor zwei Jahren zum letztenmale besuchte, nahm er mich mit. Wir sollten bei Einem seiner Freunde wohnen; Jeder bewarb sich förmlich um uns. Aber mein guter Vater wünscht immer und überall sein eigener Herr zu bleiben und zog deßhalb den Aufenthalt im Gasthofe vor. Wir langten an einem heißen Sommertage an und nahmen Besitz von zwei erquickend-kühlen und geräumigen Zimmern, deren Frische mir unendlich wohl that. Als ich erst vom Staube des Tages gereiniget, umgekleidet und neu belebt war, begann ich, daran zu denken, wie wir doch den langen Abend ausfüllen sollten, der in dieser Jahreszeit so zu sagen kein Abend, sondern ein in den nächsten Morgen hinein schleichender Tag genannt werden darf. Mit meinem Vater ist nicht viel zu plaudern; ohne Spielkarten entschläft er beim dritten Worte; und nun gar im Sommer! Mir graute vor einer Partie Piquet, die er mir antragen könnte? Ihm vorzulesen, obgleich mit Büchern versehen, daran durft' ich nicht denken; noch weniger für mich allein nach einem Buche zu greifen. Denn mein guter Vater hat die Eigenheit –«
»Dein guter Vater scheint mancherlei ganz eigene Eigenheiten zu haben?« –
»Ach Gott ja, Agnes; wie die Väter nun so sind! – er hat die Eigenheit, augenblicklich aufzuwachen, sobald ich in seiner Gegenwart lese, und zu behaupten, er habe gar nicht geschlafen. Das giebt dann eine ewige Marter zwischen Einschlummern und Erwachen seiner-, zwischen Lesen und Gestörtwerden meinerseits. Um dieser zu entgehen, schickte ich heimlich, gegen seinen Willen, einen Hausknecht zu den Familien, die er erst morgen von unserer Ankunft unterrichten lassen wollte. Ich war fest überzeugt, sie würden auf den ersten Wink herbei eilen und mich erlösen. Doch traf es sich so unglücklich, daß sie den schönen Tag zu einem Ausfluge benützt hatten. Nun war guter Rath theuer. Ich langweilte mich zum Sterben und verwünschte tausendmal in einer Minute, daß ich es mir als Vergünstigung erbeten, die kleine Reise mit machen zu dürfen. In meiner trostlosen Unruhe lief ich Thüraus Thürein und bei diesem Umherrennen bemerkte ich, daß den Gang, der in unsern Vorflur mündete, in entgegengesetzter Richtung aber nach einem im Hintergebäude liegenden Saale führte, verschiedene Personen theils paarweise, theils einzeln durchzogen, die unmöglich alle in diesem Gasthofe eingekehrt sein konnten. Ich läutete nach unserem Stubenmädchen und erhielt alsbald die Lösung des Räthsels in Form eines gedruckten Programm's, welches ›Freunde der Poesie und des Gesanges‹ einlud, der von zwei jungen Reisenden veranstalteten declamatorisch-musikalischen, Punct sieben Uhr beginnenden Abend-Unterhaltung beizuwohnen. Nur wenige Minuten fehlten noch bis zur festgesetzten Stunde und es war keine geringe Aufgabe, meinen Vater aus seinem schon angelegten Schlafrock in andere Kleider zu bringen. Doch gelang es mir, indem ich aus dem langen Verzeichniß, worin gesprochene mit gesungenen Nummern abwechselten, ihm nur die letzteren vorlas. Er gestand ein, daß er bei sanftem Gesange gern schlummere und äußerte die zuversichtliche Hoffnung, der reisende Troubadour werde ihm sein Bißchen Ruhe gönnen,
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