Schwesternkuss - Roman
Anrufe mehr empfangen.«
Mary war verwirrt. »Aber sie hat gesagt, es sei ein Notfall. Ich soll sie dringend zurückrufen.«
»Bitte rufen Sie morgen früh wieder an. Das sind die Regeln.«
Mary legte auf. Sie machte sich Sorgen, fühlte sich aber auch geehrt, dass Bennie sie um Hilfe bat. In ihrem Verhältnis schien sich tatsächlich etwas geändert zu haben.
50
Bennies Kopf war wieder klar. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie musste Alice finden. Das würde nicht einfach werden, denn sie hatte einen enormen Zeitvorsprung. Die Gefangenschaft in der Kiste hatte Bennie verändert. Irgendetwas war mit ihr geschehen. Das konnte sie in ihrem Innersten spüren.
Ihre rechte Hand war geschient und mit einer elastischen Bandage verbunden, die rechte war mit einer Mullbinde umwickelt. Trotzdem gelang es ihr, das Bettgeländer zu öffnen. Die Bettdecke stieß sie von sich. Ihre Beine waren voller Schnittwunden und Blutergüsse, die Füße waren geschwollen, zwei Zehen an jedem Fuß waren ebenfalls bandagiert. Sie schwang die Beine aus dem Bett, klammerte sich an den Infusionshalter und stand unter großen Schmerzen auf. Eine Krankenschwester kam ins Zimmer und rannte zu ihr.
»Nein! Bitte nicht aufstehen!« Die Schwester war um die fünfzig, hatte wache braune Augen, ihr Haar, zu einem Zopf gebunden, war leicht ergraut; ihren weißen Kittel hatte sie mit einem Katzen-Button geschmückt. »Sie sind noch nicht so weit. Und passen Sie auf die Infusionen auf!«
»Ich muss zur Polizei, ich kann nicht länger warten.« Bennies Reaktion war schroff und ungehobelt, aber die Umstände verlangten es so.
»Wir haben die Polizei schon zweimal angerufen. Bitte setzen Sie sich wieder.« Die Schwester drückte leicht auf Bennies Schulter, die nachgab und sich wieder aufs Bett setzte – für den Moment.
»Was hat die Polizei gesagt? Wieso sind sie nicht hier?«
»Sie kommen, so schnell sie können. Hier auf dem Land gibt es nicht so viele Polizisten.« Die Schwester überprüfte die Infusionen und rollte den Halter wieder an seinen Platz. »Sie brauchen Ruhe. Mich wundert’s eh, dass Sie wach sind.«
»Rufen Sie bitte wieder an. Oder bitten Sie die Oberschwester darum.«
»Das mache ich. Falls sie in der Zwischenzeit eintreffen, schicke ich sie sofort zu Ihnen. Erinnern Sie sich, wann Sie das letzte Mal etwas getrunken oder gegessen haben?«
»Freitagabend, bei meiner Schwester. Dabei hat sie mich betäubt. Sie hat mich lebendig in einer Kiste begraben. Sie wollte mich umbringen.«
»So etwas Ähnliches habe ich in Ihrem Einlieferungsprotokoll gelesen.« Die Schwester band ein Blutdruckmessgerät um Bennies Arm. »Wie haben Sie Ihre Hand verletzt? Sie haben einen leichten Bruch.«
»Ich wollte doch raus aus der Kiste. Dann kam dieser Wolf. Er hat mich angegriffen, und ich musste mich wehren.«
Die Schwester verzog die Augenbrauen und pumpte mit dem Gummiball die Druckmanschette auf. »Sie waren betrunken, als Sie eingeliefert wurden. Was hatten Sie getrunken?«
»Whiskey. Der Mann, der mich gefunden hatte, hat ihn mir gegeben.«
»Ich verstehe.« Die Schwester sah auf ihre Armbanduhr, dann ließ sie die Luft aus der Manschette. »Ihr Blutdruck ist ziemlich hoch. Nehmen Sie irgendwelche Drogen? Vielleicht auch vom Arzt verschriebene?«
»Meine Schwester hat mir ohne mein Wissen etwas in den Wein getan. Das hat mich umgehauen. Sie ist meine Zwillingsschwester. Eine eifersüchtige und verbitterte Person.« Die Krankenschwester glaubte ihr kein Wort. Bennie tat so, als würde sie es nicht merken. »Wann komme ich hier raus? Ich muss zur Polizei. Sie wollte mich umbringen. Meinen Wagen und meine Brieftasche hat sie auch gestohlen.«
»Heute werden Sie nicht entlassen. Erst müssen Ihre Organe wieder normal funktionieren.« Die Schwester versuchte sie ins Bett zurückzudrücken, aber Bennie blieb aufrecht sitzen.
»Ich will hier raus. Ich entlasse mich selbst.«
»Bitte, bleiben Sie im Bett. Oder ich muss die Security rufen. Seien Sie kooperativ. Die Polizei kommt, so schnell sie kann.«
»Ich habe eine bessere Idee.« Bennie hob den Telefonhörer ab, aber die Leitung war tot. »Was ist mit dem Telefon los?«
»Keine Gespräche nach zehn Uhr.«
»Aber ich habe gerade noch telefoniert.«
»Das war dann vor zehn. Bitte, seien Sie kooperativ, und Sie werden umso schneller entlassen. Morgen früh haben Sie ein Beratungsgespräch mit einer Sozialarbeiterin.«
»Ich brauche kein Beratungsgespräch.« Bennies Stimme wurde
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