Schwesternkuss - Roman
Morgen. Sie fühlte sich immer noch seltsam, doch wusste sie, was zu tun war. Sie setzte sich im Bett auf und griff nach dem Telefonhörer. »Können Sie mir die Nummer der örtlichen Polizeistation geben oder mich mit ihr verbinden?«
»Wir sind nicht befugt, solche Verbindungen herzustellen«, antwortete die Dame aus der Zentrale.
»Kann ich den Notruf von meinem Apparat aus anrufen?«
»Nein.«
»Können Sie das für mich tun?«
»Auch das dürfen wir nicht. Falls es ein Problem auf Ihrer Station gibt, sprechen Sie mit Ihrer Krankenschwester.«
»Und die Polizei in Philadelphia?« Sie hatte die Nummer eines Detektivs von der Mordkommission, aber die war auf ihrem gestohlenen Handy. »Sie könnten bei der Auskunft deren Nummer erfragen.«
»Es tut mir leid, das geht nicht. Reden Sie mit Ihrer Schwester. Sie kann Ihnen weiterhelfen.«
Bennie legte auf und rief ihre Kanzlei an. Der AB schaltete sich ein, was sie überraschte. Um diese Zeit müsste jemand im Büro sein. Sie hinterließ eine Nachricht: »Ich komme heute später. Außerdem gibt es Probleme. Meine Schwester hat wieder ihr wahres Gesicht gezeigt und meine Brieftasche gestohlen. Lasst alle meine Kreditkarten sperren, und Mary, kümmere dich um Bär.«
Sie stieß die Bettdecke von sich und schob das Bettgeländer nach unten, was mit der Schiene an ihrer rechten Hand nicht einfach war. Trotzdem gelang es ihr, die Spitze des Infusionsschlauches aus der Vene zu ziehen. Die Blutung konnte sie mit dem Verband an der linken Hand stoppen. Sie war gerade dabei, das Bett zu verlassen, als sie von einer Schwester gestört wurde.
»Um Gottes willen. Was …«
»Was ich hier mache? Ich entlasse mich selbst. Wo kann ich etwas zum Anziehen bekommen?« Bennie humpelte zur Tür, aber die Schwester stellte sich ihr mit verschränkten Armen in den Weg. Sie war korpulent, ihr schwarzes Haar trug sie kurzgeschnitten; sie wirkte verhärmt und nur zu einem rein formellen Umgang mit den Patienten bereit.
»Ihre Sozialarbeiterin kommt jede Minute. Wenn Sie mit ihr …«
»Besorgen Sie mir etwas zum Anziehen. Sonst: Aus dem Weg!«
»Haben Sie Geduld.«
»Ich bin mit meiner Geduld am Ende.« Bennie versuchte, die Schwester wegzuschieben, aber da stellte sich schon eine weitere Frau ihr in den Weg.
»Ich bin Melissa. Ich kümmere mich um Ihren Fall. Sie wollen gehen? Aber erst reden wir miteinander.« Melissa war klein und dünn; sie versank geradezu in ihrem voluminösen Jeanskleid. Mit einem geschäftsmäßigen Lächeln streckte sie Bennie die Hand entgegen.
»Wenn Sie mir was zum Anziehen leihen, rede ich mit Ihnen.«
»Schön. Dann setzen Sie sich, und wir plaudern miteinander, Ms Arzado.« Die Sozialarbeiterin deutete auf einen Stuhl.
»Mein Name ist Bennie Rosato. Verstanden? Ich muss mit der Polizei sprechen.«
Auf dem Flur hinter ihnen entstand Unruhe. Zwei uniformierte Polizisten waren auf dem Weg zum Schwesternzimmer.
»Kommen Sie doch herein, meine Herren!«, rief Bennie erleichtert. Keine fünfzehn Minuten später hatte sie nicht nur einen Burrito mit Ei verschlungen, sondern auch vor Officer Villarreal und Officer Dayne ihre Aussage gemacht.
»Ein Wolf?«, wiederholte Officer Villarreal ungläubig. Er war ungefähr dreißig Jahre alt, hatte ein breites volles Gesicht und braune Augen. Er lächelte sehr gern, was einen misstrauisch machen konnte.
»Ja, ein Wolf oder ein Kojote. Gibt’s die hier?«
»Vermutlich.«
»Dann habe ich die Bekanntschaft mit einem gemacht.«
»Sie waren betrunken, als Sie hier eingeliefert wurden.«
»Der Pick-up-Fahrer hatte mir Whiskey gegeben.«
»Er behauptet, dass er Sie so gefunden hat.«
»Dann lügt er, aber darum geht es nicht. Es geht um versuchten Mord. Meine Schwester hat versucht, mich zu töten. Sie hat meinen Wagen und meine Brieftasche gestohlen. Ich möchte, dass sie strafrechtlich verfolgt wird.«
»Sie sind eineiige Zwillinge?«
»Ja. Sie heißt Alice Connelly.« Bennie wusste, dass das unvorstellbar war. Wenn sie es nicht selbst erlebt hätte.
»Schnell, ein Computer. Und Sie werden sofort sehen, dass ich die Wahrheit sage. Ich bin Strafverteidigerin, und Alice war meine Mandantin in einem Mordprozess.« Die Polizisten sahen einander an. Bennie stand auf, bedeckte ihren Hintern und ging zur Tür. »Es muss doch hier irgendwo einen Computer geben.«
»Im Schwesternzimmer«, sagte Melissa, die Sozialarbeiterin, und folgte ihr.
Die Krankenpfleger und -schwestern sahen Bennie komisch an, als sie
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