Schwesternkuss - Roman
in die Tasten des Stenografen hauten. Der Gerichtsdiener rief den Fall 53263 auf. Danach war Mary dran.
Vielen Anträgen auf Einstweilige Verfügung war entsprochen worden. Da gab es Väter, die ihre Kinder schlugen, junge Männer, die ihren Freundinnen nachstellten, und alte Männer, die ihre Haustiere getötet hatten. Diese Horrorgeschichten bewegten Mary sehr. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass das Gericht den Opfern zumindest ein bisschen Gerechtigkeit zukommen lassen konnte.
Mary sah zu Alice, die zurücklächelte. Bennie hatte eine Menge Anträge dieser Art in ihrem Berufsleben schon gestellt, aber in diesen hatte sie sich nicht eingemischt.
»Mary«, flüsterte die falsche Bennie ihr zu und tätschelte ihre Hand, »hab Vertrauen in dich. Ich habe es auch.«
Als der Gerichtsdiener ihren Fall aufrief, fühlte sich Mary stark wie nie in ihrem Leben. Sie trat vor das Gericht und sagte voller Stolz:
»Hohes Gericht. Ich bin Mary DiNunzio, von der Kanzlei Rosato & DiNunzio.«
56
Der Streifenwagen parkte vor dem Haus, in das Alice Bennie eingeladen hatte. Es war ein schwüler Tag. Im Auto kam man vor Hitze um. Aber Officer Villarreal und Officer Dayne hatten darauf bestanden, dass Bennie im Wagen blieb. Sie wollten ohne sie hineingehen. Bennie hatte sie zu dem Haus geführt. Sie war sich sicher, dass das Vögelchen schon lange ausgeflogen war. Seltsamerweise war die Haustür nicht abgesperrt gewesen.
Bennie saß auf dem Rücksitz hinter einem Gitter aus Metall. Ein Platz, der normalerweise den Kriminellen vorbehalten war, was sich seltsam anfühlte und ihre Empfindung, nicht mehr sie selbst zu sein, noch verstärkte. Dazu kam die Kleidung, die Melissa im Krankenhaus für sie zusammengebettelt hatte: ein tiefausgeschnittenes Tank Top, dessen Besatz glitzerte und funkelte, knallenge Jeans und goldene Flipflops. In diesem Aufzug wäre sie problemlos als Straßenhure durchgegangen.
Die beiden kamen zurück. Dayne war der Ältere von beiden. Er war dünn, mundfaul und spielte die Rolle des Elder Statesman. Villarreal war derjenige, der mit den Leuten sprach.
Bennie kurbelte die Scheibe halb herunter. »Sie ist nicht da. Stimmt’s?«
»So kann man es nicht sagen.« Villarreal zog die Krempe seiner Polizeimütze hoch. »Alice Connelly wohnt hier nicht. Aber jemand anderes.«
»Unmöglich. Ich war hundertprozentig in diesem Haus. Hier wohnt Alice.«
»Sie irren sich.«
»Nein, das tue ich nicht. Lassen Sie mich hineingehen.«
Villarreal machte ein finsteres Gesicht. »Nur, wenn die Hausbesitzerin einverstanden ist und Sie sich anständig benehmen.«
»Das ist das Haus von Alice. Ich schwöre. Ich will es sehen.«
Fünf Minuten später stand Bennie in der Küche und war sprachlos. Blumige Bezüge schmückten alle Stühle, dazu Fotos von Siamkatzen auf dem Tisch – Bennie war sofort klar, dass Alice das Haus nur benutzt hatte. Die beiden Polizisten enthielten sich einer Stellungnahme und stellten ihr stattdessen die Hausbesitzerin Sally Cavanaugh vor; eine ältere Dame mit kurzem grauen Haar und strahlenden Augen. Sie trug ein Hängerkleid, das mit dem Spruch SO VIELE BÜCHER SO WENIG ZEIT bedruckt war.
»Waren Sie Freitagabend zu Hause?«, fragte Bennie.
»Nein. Ich war in den Poconos-Bergen Urlaub machen. Wegen des schlechten Wetters bin ich aber früher zurückgekommen.«
»Gab es irgendwelche Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen? Eingeschlagene Fenster zum Beispiel.«
»Nein, überhaupt nicht.« Mrs Cavanaugh deutete auf die Cops. »Wie ich den Officern schon erzählt habe: Alles war so, wie ich es verlassen hatte. Alles war in Ordnung. Ich hasse nämlich Unordnung. Sie deprimiert mich.«
»Könnte ich Ihre Weingläser sehen?«
»Warum nicht?« Die alte Dame wollte gerade ein Glas aus dem Wandschrank nehmen, als Bennie sie daran hinderte.
»Augenblick. Das Glas könnte als Beweismaterial dienen.«
»Sie hat die Gläser bestimmt gewaschen, bevor sie sie zurückgestellt hat«, meinte Officer Villarreal.
»Das schon. Sie hat aber nicht damit gerechnet, dass ich überlebe. Falls sie die Gläser mit der Hand abgewaschen hat, finden wir bestimmt Fingerabdrücke und Reste von Betäubungsmittel.«
»Betäubungsmittel?« Die alte Dame schlug sich mit der Hand auf den Mund. »Wir haben gestern Abend aus den Gläsern getrunken.«
»Was?«, fragte Bennie besorgt.
»Unser Buchklub hat sich gestern bei mir getroffen. Und Sie wissen ja, wie das läuft.« Mrs Cavanaugh lächelte verlegen. »Janey
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