Schwesternkuss - Roman
als Alice.« Mary mochte ihren Ohren nicht trauen.
»Fiorella hat Bennie in die Augen gesehen und sofort gesagt, dass sie böse ist.«
»Und für diese Äußerung hat sie sich beim Mittagessen entschuldigt. Fiorella spinnt. Sie liebt große Auftritte.«
»Und wenn sie doch nicht danebenliegt? Wenn die Dame in unserer Kanzlei tatsächlich Alice ist, die sich für ihre Schwester ausgibt?«
»Mary, das ist doch krank! Und die Verrückte auf der Straße, die genau wie Alice herumläuft, soll Bennie sein?«
»Schon möglich.«
»Nein, das ist nicht möglich. Ich war doch am Samstag mit Bennie zusammen.«
»Mary, denk daran, sie sind eineiige Zwillinge. Vielleicht hast du nur geglaubt, du wärst mit Bennie zusammen gewesen. Vielleicht warst du in Wirklichkeit mit Alice zusammen.«
»Judy, was soll dieses Gerede?«
»Bevor Fiorella ins Taxi gestiegen ist, hat sie mir etwas anvertraut.«
»Und was?«
»Okay, dann spitz die Ohren.« Judy drückte auf den roten Knopf, und der Aufzug stoppte seine Fahrt.
68
Bennie raste die Straße hinunter, die Schmerzen ignorierte sie. Schweiß rann in Strömen von ihrem Gesicht. Das Herz schlug wie verrückt. Die Passanten drehten sich nach dieser Getriebenen um, deren einziger Gedanke war zu fliehen. Weg von den Polizeisirenen, die noch immer zu hören waren. Allmählich wurden die Gehwege leerer; das Stadtzentrum hatte sie hinter sich gelassen. Sie kam an gepflegten Reihenhäusern vorbei, lief durch Lombard, Bainbridge, Naudain, bis die Reihenhäuser ungepflegt und die Autos verdreckt wurden und der Müll wegen der Hitze zum Himmel stank.
Sie bog in eine kleine Seitenstraße ein, überall lag Schutt und zerbrochenes Glas herum, viele Fenster waren zugenagelt. Sie blickte nach rechts und wieder links, sie war auf der Suche nach einem Versteck. Sie musste von der Straße runter, und zwar schnell. Vorne war eine Eckkneipe. Die würde es fürs Erste tun. Sie lief an ein paar Frauen vorbei, die auf einer Treppe saßen und Bier tranken. Da ein Schrei.
»Du, Al, wart’!«
Bennie lief weiter.
»He! Ich bin’s, Tiffany! Al! Alice!«
Alice? Bennie drehte sich um. Eine der Frauen von der Treppe rannte auf sie zu. In ihren Sandalen hatte sie keinen richtigen Halt.
»Du, wart’!« Außer Atem kam die Frau bei Bennie an. Ihr Auftreten war freundlich, fast ehrerbietig. Ihr brünettes Haar hatte jemand miserabel in Stufen geschnitten, auf ihrer Stupsnase thronte ein Sonnenbrand. Sie trug ein geblümtes Mieder und Shorts. »Al, was zum Teufel ist mit dir passiert? Hab’ dich kaum wiedererkannt.«
»Denk’ ich mir.« Bennie beschloss zu improvisieren. Wenn Alice in ihre Rolle schlüpfte – warum sie nicht in die ihrer Schwester?
»Hattest du Streit? Wie du gerannt bist!«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Caitlin hat dich gesucht. Kendra auch. Wo hast du gesteckt?«
»Hier und da.« Bennie wurde es zu riskant auf der Straße. »Gibt’s bei dir zu Hause was zu trinken?«
»Klaro.« Tiffany strahlte. »Ein Katzensprung von hier, gleich ums Eck.«
69
Alice stand mit Grady und Marshall beim Empfang, als Mary und Judy aus dem Aufzug stiegen. Die beiden wirkten nachdenklich und in sich gekehrt, was nicht ihre Art war. War das Tohuwabohu auf der Straße daran schuld? Alice musste sie genau beobachten.
»Mädels, ist alles in Ordnung?«, fragte sie. »Mary, geht’s dir gut?«
»Danke, uns geht’s gut.« Mary lächelte schwach.
»Wir haben alles vom Fenster aus gesehen. Ihr habt euch Alice richtig in den Weg gestellt. Gut gemacht.«
»Aber sie ist geflohen.«
»Ich weiß. Hoffentlich schnappen sie sie bald. Sie braucht dringend einen Psychiater.«
Mary blickte zu Judy, die wegsah, was Alice nicht entging.
»Judy, wie geht es dir? Du siehst mitgenommen aus.«
»Mir geht es auch gut.«
Marshall umarmte Mary teilnahmsvoll. »Alice hat dich angeschrien. Ich hatte Angst, sie schlägt dich.«
»Sie hat nur ein paar Schimpfkanonaden losgelassen.«
Irgendetwas beschäftigte die beiden. Aber was? Alice hakte nach. »Mary, was hat Alice zu dir gesagt?«
»Nichts Besonderes.«
»Sag’s mir.«
»Dass ihr das Haus gehört; dass sie Bennie ist; dass man sie reinlassen muss. Sie hat nichts ausgelassen.«
»Netter Versuch.« Alice lachte. »Ihre Psychospielchen.«
»Genau.«
»Aber wenn wir auf sie hereinfallen sollen, müsste sie sich nicht zumindest Mühe geben und sich als Bennie kostümieren?«, fragte Marshall amüsiert.
Grady lächelte verschmitzt. »Habt ihr mein
Weitere Kostenlose Bücher