Schwesternkuss - Roman
auszutricksen, dürfte nicht so schwierig gewesen sein.« Judys Augen verengten sich. »Wahrscheinlich hat der Rollenwechsel direkt vor unseren Augen stattgefunden.«
»Und warum sollte Alice das tun? Warum sollte sie Anwalt werden wollen? Niemand will Anwalt sein. Noch nicht einmal die Anwälte wollen Anwalt sein!«
»Ich weiß es ja auch nicht. Vielleicht will sie Bennie beruflich ruinieren. Aber dafür riskiert sie einen hohen Preis.«
»Alice ist selbstzerstörerisch.«
»Aber sie hat auch einen starken Selbsterhaltungstrieb. Wie sie mit allen Mitteln darum gekämpft hat, nicht als Mörderin verurteilt zu werden! Außerdem haben die beiden sich versöhnt. Warum sollte sie Bennie also jetzt das Leben zur Hölle machen?« Judy lehnte sich über den Schreibtisch. »Aber weißt du, was ich in den Augen der Frau auf der Straße gesehen habe? Pure Verzweiflung.«
»Ich auch. Denn das war Alice, die verzweifelt versucht, Bennie in den Ruin zu treiben.« Mary schreckte auf, als die Gegensprechanlage surrte. Ein Zeichen, dass die Leute von Rexco angekommen waren. »Ich muss gehen.«
»Wie wäre es mit einem Test?«
»Was meinst du?« Mary suchte auf ihrem Schreibtisch nach einem Stift, der nicht angeknabbert war. Frauen in ihrer Position kauten nicht mehr auf ihren Schreibutensilien herum.
»Es gibt so viele Dinge, von denen Alice nichts weiß. Wir haben so viel zusammen erlebt, wovon Alice keine Ahnung hat.«
»Na und?« Mary ging zur Tür. Sie verlor die Geduld.
»Womit könnten wir sie testen? Mit einem Mandanten, den wir mochten oder gehasst haben. Mit einem bestimmten Prozess. Es gibt viele Möglichkeiten.« Judys Augen leuchteten. Mary konnte ihre Begeisterung nicht teilen. Ihr kam die Idee kindisch vor.
»Das ist kein Spiel.«
»Das weiß ich. Ich habe es auch keineswegs so gemeint. Es ist eine gute Idee. Wenn sie weiß, wovon wir reden, ist es Bennie. Wenn sie es nicht weiß, ist es Alice.«
»Dazu habe ich keine Zeit und keine Lust.« Mary legte die Hand auf den Türgriff. »Hat Bennie nicht genug durchgemacht? Ihre Schwester terrorisiert sie. Ihr Hund ist tot. Gönn ihr eine Verschnaufpause.«
Judy verstand ihre Freundin nicht mehr. »Warum bist du so eigenartig?«
»Das bin ich nicht.«
»Das bist du doch.«
»Judy, es reicht!« Mary warf die Hände hoch. »Draußen warten richtige Mandanten, die wir nicht warten lassen sollten. Denn wir müssen hier richtige Dollars verdienen. Alle, auch du.«
»Wow. Was hat man dir in den Kaffee getan?« Judy wich zurück, sie war stinksauer. »Was wäre, wenn Alice dich zur Teilhaberin gemacht hat? Dann wären ihre Lobeshymnen auch nur Teil eines Spiels.«
»Vielen Dank.« Mary wollte gehen, aber Judy hielt sie jetzt am Arm fest.
»Ich sage ja nicht, dass du das Lob nicht verdient hast. Ich sage nur, es könnte ein Versuch von Alice sein, dich gefügig zu machen.«
»Aber es ist nicht Alice. Es ist Bennie.«
»Du warst selbst erstaunt über die Komplimente, die Bennie dir plötzlich gemacht hat. Du wurdest über Nacht ihre Teilhaberin und warst ihr so nah wie nie zuvor. Macht dich das nicht wenigstens ein bisschen stutzig?«
»Nein.«
»Wirklich?«
»Wirklich«, antwortete Mary. Draußen begrüßte die falsche Bennie gerade die Leute von Rexco. »Ich muss jetzt gehen.«
»Okay. Von mir aus. Geh.«
Mary ging und fragte sich, ob sie nach ihrem Freund jetzt auch ihre beste Freundin verloren hatte.
71
Bennie folgte Tiffany in ihre Kellerwohnung, in der es nach abgestandenem Zigarettenrauch stank. Das Wohnzimmer hatte keine Fenster. Stattdessen gab es einen alten Fernseher, ein durchgesessenes braunes Sofa, einen Laptop neueren Datums, viele leere Gläser und volle Aschenbecher und an der Wand ein vergilbtes Bon-Jovi-Plakat. Die Luft war stickig.
»Heiß hier.« Tiffany kletterte auf die Couch und schaltete die Klimaanlage ein, die an der Wand installiert war. »Besser?«
»Ja.«
»Bald wird’s richtig kühl. Ich habe Budweiser Light. Geht doch in Ordnung?«
»Klar.«
»Setz dich. Mach’s dir bequem. Magst du ein Sandwich? Es gibt Käse mit Schinken.«
»Gut.« Bennie bedankte sich nicht, Alice hätte es garantiert nicht getan. Sie setzte sich auf die Couch. Was für eine Erleichterung für ihre geschwollenen und zerschnittenen Füße. Die Hände taten von dem Kampf mit den Wachmännern weh. »Hast du eine Schmerztablette?«
»Klaro. Wer hat dich so zugerichtet?«
»Das sage ich dir besser nicht. Lebensgefahr.«
»Ha! Ha! Ha!« Tiffany
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