Schwesternkuss - Roman
sich die Seele aus dem Leib geweint.«
Mary sah triumphierend zu Judy hinüber, die Freude über Gradys Äußerung verbarg sie keinesfalls. »Bennie behält ihre Gefühle für sich. Sie ist ein zurückhaltender Mensch. Deshalb schätze ich sie.«
Judy schien nicht zuzuhören. Sie reinigte ihre klebrigen Finger an einer Serviette. »Grady, ich möchte dir eine hypothetische Frage stellen. Wäre es möglich, dass die Frau auf der Straße Bennie gewesen ist und nicht Alice?«
»Wie bitte?«
»Grady, sie macht nur Witze.«
»Nein, das mache ich nicht«, entgegnete Judy. »Grady, denk darüber nach. Vielleicht sind wir die Opfer eines üblen Komplotts. Fiorella ist sich da sicher.«
»Fiorella?« Grady stellte seine Tasse ab. »Was hat diese verrückte alte Dame damit zu tun?«
Judy winkte ab. »Vergiss Fiorella, um sie geht es nicht. Es geht um die Frage, ob die Frau, die ein paar Meter von uns entfernt hinter einem Schreibtisch sitzt, vielleicht Alice ist.«
Grady blickte von Judy zu Mary und wieder zurück und verstand die Welt nicht mehr. »Das meinst du ernst?«
»Ja«, antwortete Judy.
»Nein«, antwortete Mary gleichzeitig.
»Das ist unmöglich.« Grady zog die Stirn in Falten. »Natürlich ist es Bennie, die in ihrem Büro sitzt.«
»Woher weißt du das?«
»Ich kenne doch meine Freundin.«
»Wirklich?« Judy zog unter ihrem feuerwehrroten Pony die Augenbrauen hoch. »Du hast sie längere Zeit nicht gesehen. War sie in irgendeiner Weise verändert?«
» Judy!« , sagte Mary. »Du benimmst dich echt daneben.«
Judy fasste Grady am Arm. »Beweise mir, dass ich unrecht habe. Mach einen Test mit ihr. Frag sie nach etwas Vertraulichem, etwas, dass nur du und Bennie wissen können. Wenn sie es weiß, ist es Bennie. Ganz einfach.«
»Du meinst das wirklich ernst.« Grady schubste Judy von sich. »Was geht in deinem Kopf vor? Sickert das Haarfärbemittel allmählich in dein Gehirn ein?«
»Er hat recht, hör endlich damit auf.«
Judy schüttelte den Kopf. Sie war fassungslos. »Mary, du erteilst mir Befehle. Ich dachte, wir sind Freundinnen.«
»Sind wir auch.«
»Deshalb kommandierst du mich also herum.«
»Nein. Aber du verhältst dich illoyal. Und ich möchte, dass du damit aufhörst.«
»Und wenn ich nicht damit aufhöre?« Judys Blick wurde eisig. »Was wirst du dagegen unternehmen? Mich hinauswerfen?«
»Natürlich nicht.«
Grady ging dazwischen. »Mädels, bitte keinen Streit.«
Judy beachtete ihn nicht. »Und wirst du deine Bennie über meinen Verdacht informieren?«
»Das weiß ich nicht.«
»Mary, das weißt du nicht ?« Judy wurde lauter. »Jetzt, wo du Teilhaberin bist. Klar! Mary, du musst dich entscheiden. Zwischen mir und ihr.«
»Ich muss mich nicht entscheiden.«
»Doch. Treff einmal in deinem Leben eine Entscheidung.«
»Und wenn ich’s ihr sage?«
»Du traust dich ja doch nicht.«
»Das wirst du sehen.«
»Gut.« Judy warf ihre Serviette hin. »Rechne nicht mehr mit mir.«
74
Man könnte behaupten, Bennie hatte sich verkleidet. Sie trug von Tiffany ein unscheinbares graues T-Shirt, blaue Shorts und alte Turnschuhe, ihre Haare versteckte sie unter einer Baseballmütze. So ging sie ganz in dem Touristenschwarm unter, der in die angesagten Läden und Restaurants in der South Street strömte. Trotzdem hielt sie die Augen offen, denn sie waren nur zehn Blocks vom Büroviertel entfernt.
»Coole Gegend hier.« Tiffany blies den Rauch ihrer Zigarette in die feuchte Schwüle. »Aber unbezahlbar.«
»Stimmt«, sagte Bennie. Denn sie wollte nichts Falsches sagen. Tiffany warf ihre Zigarette weg. Sie waren am Ziel: Ein stinkvornehmer Glaseingang führte in die Edelboutique Principessa , in der Töchter aus gutem Haus ihre sauteuren Klamotten erstanden.
»Gehen wir hinein zu Caitlin.« Tiffany öffnete die Tür, Bennie wollte ihr folgen, aber schon stand Tiffany wieder auf dem Asphalt. Eine attraktive junge Frau in einem gestreiften Etuikleid und mit kurzen blonden Haaren hatte sie blitzschnell vor die Tür gesetzt. Wahrscheinlich war es Caitlin, auch wenn sie mehr wie eine Hausfrau aus der Vorstadt als eine Pillen-Dealerin aussah.
»Raus mit dir«, fauchte sie Tiffany an. »Du sollst nie hierherkommen. Das habe ich dir gesagt.«
»Alice wollte dich sehen, und ich habe sie begleitet.«
»Wo ist Alice?« Caitlin sah rüber zu Bennie. Sie riss die Augen auf, als hätte sie einen Geist erblickt. » Alice? Bist du’s, oder bist du’s nicht?«
»Ich bin’s, hi.«
»Das darf
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