Schwesternkuss - Roman
würde Judy niemals mit einer Waffe bedrohen. Niemals. Nie.
Also war Bennie in Wirklichkeit Alice.
Judy hatte die ganze Zeit recht gehabt. Und jetzt sollte sie dafür mit ihrem Leben bezahlen.
89
Bennie hatte ihre Waffe auf Alice gerichtet. Die zog Judy rückwärts Richtung Pier. Nicht weit von ihnen lag ein gewaltiges Schiff vor Anker. In den aufgewühlten Fluten des Delaware spiegelten sich die Lichter der Stadt wie ein nächtliches Kaleidoskop.
»Lass sie los!« Bennie machte langsam einen Schritt nach vorne. »Das ist eine Sache zwischen uns beiden.«
»Bleib stehen!« Alice ging weiter rückwärts, hinaus aus dem Scheinwerferlicht, hinein in die schützende Dunkelheit. »Noch ein Schritt von dir, und sie ist tot.«
»Wenn du ihr etwas antust, bist du tot.« Bennie machte keine Anstalten stehen zu bleiben.
Plötzlich ging das Scheinwerferlicht aus. Alice und Judy waren für Bennie nur noch Silhouetten vor der hell erleuchteten Stadt am gegenüberliegenden Ufer.
»Bleib stehen! Oder ich bringe sie um!«, schrie Alice. Doch die Zeit des Redens war vorbei.
Bennie richtete ihre Pistole auf die Schattenrisse im Regen. Sie war eine gute Schützin, aber sie wollte kein Risiko eingehen – noch nicht.
Plötzlich kam es zu einem Handgemenge.
Ein Schuss. Judys Schreie waren zu hören.
Danach nahm das Schicksal seinen Lauf.
90
Judy trat Alice gegen das Schienbein. Ein Schuss wurde abgefeuert. Die Kugel verfehlte nicht ihr Ziel.
Blut spritzte, und Judy schrie.
Und sie schrie weiter und ruderte hilflos mit den Armen, während Alice sie nach hinten zog – und sie hörte erst mit Schreien auf, als sie nach einem kraftvollen Stoß von Alice auf der Wasseroberfläche aufklatschte.
Alice rannte das Dock hinunter. Dann wieder ein Platscher. Alice wusste, woher er kam. Bennie war ins Wasser gesprungen. Ihr war es wichtiger, Judy zu retten, als Alice zu töten. Und die anderen dachten genauso. Wie schön für sie!
Sie rannte schneller. Rechts von ihr befand sich ein weiterer Pier. Sie könnte ihn hinunterlaufen, um dann mit einer Kehrtwende zum Boulevard zu gelangen. Aber sicherlich wäre die Polizei bald dort. Ihr Herz schlug, der Brustkorb tat weh.
Das Ende des Piers lag unmittelbar vor ihr. Dahinter wartete im Dunkeln das Wasser.
Sie holte tief Luft, nahm Anlauf und sprang.
91
Tränen rannen Mary die Wangen hinunter. Sie stand an der Stelle, an der Judy ins Wasser gestoßen worden war, und suchte mit den Augen den Fluss nach ihrer Freundin ab. Beinahe wäre sie selbst hineingefallen.
»Bleib da weg!«, schrie Grady.
»Man hat sie erschossen. Alice hat sie erschossen.«
»Beruhige dich. Bennie sucht sie. Und ich auch. Bleib du hier.«
»Grady, Hilfe!« Bennies verzweifelter Schrei aus der Tiefe war im Regen kaum zu hören.
Grady sprang neben dem Schiff ins Wasser.
Mary konnte im Wasser jetzt drei Köpfe ausmachen.
»Maria, Maria!« Ihre Mutter kam auf sie zugerannt. Mary nahm sie in die Arme. Sie seufzte tief.
»Oh, Ma. Es ist Judy. Judy, Ma.«
»Oh, Dio, no! «
Mary versuchte ihre Mutter vor dem Regen zu schützen und wiegte sie wie ein Kind.
Fiorella stand durchnässt hinter ihnen. »Dein Vater ist zum Restaurant gerannt, um die Polizei zu verständigen.«
»Gott sei Dank.« Mary versuchte, Ruhe zu bewahren. Wie ein kleines Mädchen krallte sie sich an ihrer Mutter fest. Wer wen hier tröstete, war nicht auszumachen. Sie spähte wieder ins Wasser. Todesangst beschlich sie.
Ihre Mutter betete. Und sie betete mit ihr.
Bis man die Sirenen hören konnte.
92
Bennie und Grady hielten Judy über Wasser. Sie hielt sie unter dem rechten, er unter dem linken Arm fest. Judy war bewusstlos. Ihr Kopf hing nach hinten, ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund stand offen, ihre Kiefer hingen schlaff herunter.
Der Regen wollte nicht aufhören. In der Ferne hörte man Sirenen. Ob die Polizei und die Rettungsfahrzeuge noch rechtzeitig hier eintreffen würden? Es sah nicht gut aus. »Was können wir tun? Ob wir sie an Land heben können?«, fragte Bennie.
»Ich wüsste nicht wie.« Grady blickte hoch. »Das Ufer ist verdammt hoch.«
Judy verlor Blut. Bennie klopfte ihr auf die Wangen, damit sie am Leben blieb. Ihre Haut war erschreckend blass. »Bleib bei uns, Mädchen! Bleib bei uns!«
Die Sirenen kamen näher, und plötzlich waren auch Motorengeräusche auf dem Wasser zu hören. Zwei Polizeiboote durchschnitten den Fluss und jagten auf sie zu.
»Da kommt Hilfe«, rief Grady.
»Schwimmen wir ihnen
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