SdG 05 - Der Tag des Sehers
Anaster – oder irgendeinem anderen Tenescowri – solche Verbrechen zur Last gelegt werden können, dann werden sie nach dem malazanischen Kriegsrecht verurteilt.«
»Eine einfache Hinrichtung lässt ihnen eine Gnade zuteil werden, die sie ihren Opfern nicht gewährt haben.«
»Dann werden sie Glück gehabt haben, dass Einarms Heer sie gefangen genommen hat und nicht irgendjemand anderes.«
Der Schnelle Ben sah noch immer besorgt aus. »Und die überlebenden Bürger von Capustan, die Verteidiger und die Priester aus dem Knecht – werden sie nicht dabei mitzureden haben, was mit den Gefangenen geschieht? Uns könnten unruhige Zeiten bevorstehen, Kommandant.«
»Ich danke dir für die Warnung, Magier.«
Nach einem Augenblick zuckte der Schnelle Ben die Schultern und seufzte. »Wir sehen uns in Capustan, Elster.«
»Klar.«
Die Erscheinung verschwand.
Korlat wandte sich an den Kommandanten. »Ihr wollt das malazanische Kriegsrecht auf die Pannionier anwenden.«
Er zog die Brauen hoch. »Ich habe nicht den Eindruck, dass Caladan Bruth besonders rachsüchtig ist. Rechnest du mit einer Auseinandersetzung?«
»Ich weiß, was Kallor ihm raten wird.« Ein Hauch von Anspannung lag in ihrer Stimme.
»Das weiß ich auch, aber ich glaube nicht, dass der Kriegsherr auf ihn hören wird. Beim Vermummten, bisher hat er es auch nicht getan.«
»Wir haben Capustan noch nicht gesehen.«
Er stieß seufzend den Atem aus, streifte die gepanzerten Handschuhe ab. »Ach ja. Entsetzen muss mit gleicher Münze heimgezahlt werden …«
»Ein ungeschriebenes Gesetz«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ein uraltes Gesetz.«
»Ich halte mich nicht daran«, grollte Elster. »Denn dann sind wir auch nicht besser. Selbst einfache Hinrichtungen …«Er sah sie an. »Über zweihunderttausend hungernde Bettler. Werden sie sich wie Schafe zur Schlachtbank führen lassen? Wahrscheinlich nicht. Und sie gefangen nehmen? Selbst wenn wir es versuchen würden, könnten wir sie nicht ernähren. Und wir können auch nicht genug Soldaten entbehren, um sie zu bewachen.«
Korlats Augen weiteten sich langsam. »Dann schlägst du also vor, wir sollten sie einfach in Ruhe lassen, ja?«
Sie hat irgendetwas im Sinn. Ich habe schon länger Anzeichen davon bemerkt, das Flüstern eines verborgenen Keils, der im Begriff ist, sich zwischen uns zu treiben. »Nicht alle. Wir werden uns ihre Anführer holen. Diesen Anaster und seine Offiziere – vorausgesetzt, es gibt welche. Wenn die Tenescowri Gräueltaten begangen haben, dann hat das Erste Kind ihnen den Weg gewiesen.« Elster schüttelte den Kopf. »Aber der wahre Schuldige wartet in der Domäne auf uns … der Seher, der seine Anhänger so lange hat hungern lassen, bis sie dem Kannibalismus verfallen sind, dem Wahnsinn. Der sein eigenes Volk zu vernichten sucht. Wir würden die Opfer hinrichten – seine Opfer.«
Die Tiste Andii runzelte die Stirn. »Aus dem gleichen Grund müssten wir dann auch die pannionischen Armeen laufen lassen, Elster.«
Die grauen Augen des Malazaners wurden hart. »Unser Feind ist der Seher. Darin sind Dujek und ich uns einig – wir sind nicht hier, um ein ganzes Volk auszurotten. Mit den Armeen, die sich uns auf unserem Marsch zum Seher entgegenstellen werden, werden wir uns natürlich befassen. Gründlich. Doch Gedanken an Vergeltung und Rache lenken nur von der eigentlichen Aufgabe ab.«
»Und wie steht’s mit Befreiung? Die eroberten Städte – «
»Das ist ein Nebeneffekt, Korlat. Ich bin überrascht, dass du darüber so bestürzt bist. Bruth hat es genauso gesehen wie wir – bei jener ersten Besprechung, als wir über Strategien gesprochen haben. Wir zielen auf das Herz – «
»Ich glaube, da habt ihr etwas missverstanden, Elster. Seit mehr als einem Jahrzehnt führt der Kriegsherr einen Befreiungskrieg, bekämpft er den habgierigen Hunger eures malazanischen Imperiums. Jetzt hat Caladan Bruth sich ein anderes Ziel gesucht – es geht gegen einen neuen Feind – aber es ist der gleiche Krieg. Bruth ist hier, um die Pannionier zu befreien – «
»Beim Atem des Vermummten! Man kann ein Volk nicht von sich selbst befreien!«
»Er will die Menschen von der Herrschaft des Sehers befreien.«
»Und wer hat den Seher in seinen derzeitigen Rang erhoben?«
»Und doch sprichst du davon, das gemeine Volk straffrei ausgehen zu lassen, ja, sogar die Soldaten der pannionischen Armeen. Und genau das verwirrt mich.«
Aber das ist es nicht allein. »Wir reden hier von
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