SdG 05 - Der Tag des Sehers
nahm die Waffe entgegen. Sie war so leicht wie ein Dolch. »Unmöglich«, murmelte er. »Es muss zerbrechen – «
»Nicht so ohne weiteres, Hauptmann. Es wirkt starr, ja? Daraus schließt Ihr, dass es spröde sein muss, aber das ist es nicht. Überprüft die Schneide. Sie hat keine Scharten, aber dieses Schwert hier hat viele, viele Kämpfe mitgemacht. Die Schneide bleibt scharf. Dieses Schwert muss nicht bemuttert werden.«
Paran gab es zurück und betrachtete die Kanus. »Und in den Booten da sind noch mehr von diesen Waffen?«
»So ist es.«
»Wer wird sie benutzen? Die Kriegshäuptlinge?«
»Nein. Kinder.«
»Kinder?«
»Sorgfältig ausgewählt, werden sie ihre Übungen mit diesen Schwertern beginnen. Stellt Euch vor, Ihr würdet diese Klinge führen, Hauptmann. Eure Muskeln sind an etwas viel Schwereres gewöhnt. Ihr würdet es entweder zu heftig schwingen oder zu sehr versuchen, das fehlende Gewicht auszugleichen. Ein harter Hieb würde es Euch aus der Hand schlagen. Nein, diese Schwerter können ihr wirkliches Potenzial nur in Händen entwickeln, die noch nie eine andere Waffe geschwungen haben. Und viel von dem, was diese Kinder lernen werden, werden sie sich selbst beibringen müssen – denn wie sollen wir ihnen etwas beibringen, das wir selbst nicht wissen?«
»Und welchem Zweck werden diese Schwerter dienen? Und die jungen Krieger, die sie führen werden?«
»Eines Tages bekommt Ihr vielleicht eine Antwort auf diese Frage, Ganoes Paran.«
Paran schwieg eine Weile. »Ich glaube«, sagte er schließlich, »ich habe gerade noch ein anderes Geheimnis herausgefunden.«
»Und was ist das?«
Ihr werdet diese Kanus zerlegen, werdet lernen, wie man sie baut. »Wird das Land lange Eure Heimat bleiben, Barghast?«
Cafal lächelte. »Nein.«
»So ist das also.«
»So ist das also. Hauptmann, Humbrall Taur möchte Euch um etwas bitten. Wollt Ihr seine Bitte von ihm persönlich hören, oder darf ich sie in seinem Namen aussprechen?«
»Fahrt fort.«
»Die Barghast hätten gerne, dass ihre Götter … gesegnet werden.«
»Was? Dafür braucht Ihr mich nicht – «
»Das ist wahr. Trotzdem bitten wir Euch darum.«
»Nun, lasst mich darüber nachdenken, Cafal. Eines meiner Probleme ist, dass ich nicht weiß, wie man das macht. Soll ich einfach zu den Gebeinen hingehen und sagen: ›Ich segne euch‹, oder ist etwas Komplizierteres notwendig?«
Cafals dichte Brauen wanderten in die Höhe. »Ihr wisst es nicht?«
»Nein. Vielleicht wollt Ihr ja alle Eure Schamanen zusammenrufen und die Angelegenheit besprechen.«
»Ja, genau das werden wir tun müssen. Wenn wir herausfinden, welches Ritual erforderlich ist, werdet Ihr es dann durchführen?«
»Ich habe gesagt, ich werde darüber nachdenken, Cafal.«
»Warum zögert Ihr?«
Weil ich ein Dreh- und Angelpunkt bin, und was ich mich zu tun entschließe, könnte – wird – alles verändern. »Ich will Euch nicht beleidigen. Aber ich bin ein vorsichtiger Bastard.«
»Ein Mann, der Macht hat, muss entschlossen handeln, Ganoes Paran. Sonst rinnt sie ihm durch die Finger.«
»Wenn ich mich entschließe zu handeln, Cafal, dann wird es entschlossen sein. Wenn es mir sinnvoll erscheint. Eines hingegen werde ich nicht tun: überstürzt handeln – und wenn ich tatsächlich solch eine gewaltige Macht habe, dann solltet Ihr froh darüber sein.«
Der Barghast-Krieger gab ein Brummen von sich. »Vielleicht ist Eure Vorsicht ja doch weise. Ich werde meinem Vater Eure Worte übermitteln.«
»So sei es.«
»Falls Ihr die Einsamkeit sucht, solltet Ihr sie woanders suchen. Gleich werden meine Verwandten kommen, um die übrigen Waffen zu bergen. Hier wird es heute Nacht ziemlich geschäftig zugehen.«
»In Ordnung. Ich gehe ein bisschen spazieren.«
»Seht Euch vor, Ganoes Paran.«
Der Hauptmann drehte sich um. »Vor was?«
»Der Maskenrat weiß, wer – was – Ihr seid, und es gefällt ihnen nicht.«
»Warum?«
Cafal grinste breit. »Der Maskenrat schätzt Rivalen nicht besonders. Sie erkennen Keruli, der sich ihrer Gemeinschaft anschließen will, noch immer nicht an. Ihr – nun, Ihr könntet durchaus in einer Position sein, aus der sich der Anspruch ableiten ließe, in allen Dingen ihr Herr zu sein. Die Augen hinter den Masken verschießen Blitze, Hauptmann.«
»Beim Atem des Vermummten«, seufzte Paran. »Wer ist dieser Keruli eigentlich?«
»Der Hohepriester K’ruls.«
»K’rul? Der Ältere Gott?«
»Geht davon aus, dass Keruli Euch um Euren Segen
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