Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Warum sollte sich das auf einmal ändern?«
»Das ist nicht fair ...«, begann Michelle.
Jane hob die Stimme. »Was wissen Sie schon von fair?«
»Wenn du den Brief bekommst«, sagte Sean, »musst du ihn uns zeigen.«
Jane drehte sich wieder zu ihm um. »Ich muss?«
»Du hast uns beauftragt, in diesem Fall zu ermitteln, Jane. Bis jetzt hast du uns angelogen, Beweismittel zurückgehalten und uns Zeit verschwenden lassen, die wir nicht haben. Ja, du musst uns und dem FBI den Brief zeigen, wenn er kommt. Sonst können wir unsere Sachen auch zusammenpacken, und das war's.«
Tuck meldete sich wieder zur Wort. »Um Himmels willen, Jane, wir reden hier über Willa. Du musst sie uns helfen lassen.«
»Ich denke darüber nach.«
Tuck war wie vor den Kopf geschlagen, doch Sean sagte: »Na schön ... Denk du mal schön darüber nach und gib uns Bescheid.« Er stand auf und winkte Tuck und Michelle, ihn hinauszubegleiten.
»Warum bleibst du mit den Kindern nicht hier, Tuck?«, fragte Jane.
Er schaute sie nicht einmal an. »Nein, danke.«
Tuck verließ das Zimmer. Michelle und Sean folgten ihm.
Betack hatte sich ebenfalls umgedreht, als Jane sagte: »Ich werde diesen Verrat nie vergessen, Agent Betack. Nie!«
Betack leckte sich über die Lippen, aber was immer er darauf erwidern wollte, er schluckte es herunter. Dann ging auch er.
Als sie das Weiße Haus verließen, zog Sean Betack beiseite. »Aaron, eins noch.«
»Und was? Kannst du noch einen freien Mitarbeiter gebrauchen? Ich sehe eine große berufliche Veränderung auf mich zukommen.«
»Ich möchte, dass du ein bisschen für mich herumschnüffelst.«
»Und das heißt?«
»Der Brief, den die First Lady bekommen hat.«
»Sie hat gesagt, sie hätte ihn vernichtet.«
»Wenn man bedenkt, dass ansonsten nur Lügen aus dem Mund der feinen Dame gekommen sind, stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch das nicht stimmt.«
»Und jetzt soll ich ihn finden?«
»Ich würde es ja selbst versuchen, aber hier würde mich bestimmt jemand dabei erwischen. Wie ich gehört habe, ist die Sicherheit hier ziemlich gut.«
»Ist dir eigentlich klar, um was du mich da bittest?«
»Ja. Ich bitte dich darum, mir dabei zu helfen, ein kleines Mädchen zu retten.«
»Was fällt dir ein, mir solche Schuldgefühle einzureden?«
»Würdest du es tun, wenn ich dir keine Schuldgefühle einreden würde?«
Betack wandte sich kurz ab und dachte nach. »Okay«, sagte er schließlich. »Ich will sehen, was ich tun kann.«
Nachdem sie Tuck am Blair House abgesetzt hatten, klingelte Seans Handy. Er nahm ab, hörte zu, lächelte und legte wieder auf. »Ich habe das Gefühl, der Wind dreht sich«, bemerkte er.
»Warum? Wer war das?«, fragte Michelle.
»Mein Freund, der Sprachwissenschaftler. Sie haben möglicherweise neue Erkenntnisse, was die Zeichen auf Pams Armen angeht.«
51.
W ir sind so ziemlich alles durchgegangen, was uns eingefallen ist«, sagte Phil Jenkins, Seans Professorenfreund an der Georgetown University. »Natürlich war das nicht Yi, wie du zunächst vermutet hast. Das Alphabet war schlicht falsch. Aber Collegeprofessoren lieben Herausforderungen wie diese. Also habe ich an einer anderen Fakultät angerufen und mich ein wenig interdisziplinär betätigt. Das war auf jeden Fall besser, als fünfzig Klausuren zu korrigieren.«
»Da möchte ich drauf wetten«, sagte Michelle, die auf der Kante von Jenkins' Schreibtisch saß. Sie hätte einen Stuhl vorgezogen, doch die beiden Sitzmöbel, die im Zimmer standen, waren von dicken Büchern belegt.
»Und was hast du herausgefunden?«, fragte Sean ungeduldig.
»Hast du schon mal von Muskogee gehört?«
»Ist das nicht eine Stadt in Wisconsin ... oder Oklahoma?«
»Nein, das ist eine Indianersprache, genauer gesagt eine Sprachfamilie.«
»Dann stammten die Zeichen aus dieser Muskogee-Sprache?«, fragte Michelle.
»Coushatta, um genau zu sein. Wie gesagt, ist Muskogee nur die Sprachfamilie.«
»Und was steht da?«, fragte Sean.
Jenkins schaute auf ein vollgekritzeltes Blatt Papier. »Das herauszufinden, war nicht ganz einfach, denn der Schreiber hat die diakritischen Zeichen ausgelassen. So gehört zum Beispiel ein Akzent zwischen Chaffa und kan. Und natürlich waren die Buchstaben nicht in Worte aufgeteilt. Das machte das Ganze ziemlich schwierig.«
»Offenbar wollten sie es uns nicht leicht machen«, bemerkte Sean.
»Nun, das ist ihnen gelungen«, erklärte Jenkins. »Soweit wir sagen können, steht da Folgendes:
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