Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Türknauf. Er ließ sich leicht drehen. Sean legte die Hand auf ihre. »Bist du sicher, dass du das willst?«
»Jetzt sind wir schon den ganzen Weg hierhergefahren, und ich bezweifle, dass ich je wieder zurückkehren werde.«
Sean nahm die Hand wieder weg, und sie gingen hinein. Das Haus war leer und verdreckt.
Sean hatte eine Taschenlampe aus dem SUV mitgenommen; jetzt leuchtete er damit umher. Zerlumpte Decken kamen zum Vorschein, leere Packungen, Bierflaschen und mehr als ein Dutzend benutzter Kondome.
»Das ist nicht gerade was fürs Poesiealbum«, murmelte Michelle und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
»Erinnerungen haben nur selten mit der Realität zu tun«, sagte Sean. »Meist erinnert man sich nur an die guten Dinge.«
Michelle schaute zur Treppe.
Sean folgte ihrem Blick. »Welches war dein Zimmer?«
»Das zweite rechts.«
»Möchtest du rauf?«
»Später vielleicht.«
Sie gingen weiter durch das Erdgeschoss. Überall stapelte sich der Müll. Sean fiel auf, dass Michelle dies alles gar nicht zu registrieren schien. Sie stieß die Hintertür auf und trat hinaus. Auch dort erwartete sie Müll und der Kadaver des alten Trucks. Der Garage fehlte das Tor, und im Inneren sah es nicht besser aus als im Haus.
Alles war so erbärmlich, so deprimierend, dass Sean es kaum ertragen konnte, hier zu sein. Warum Michelle nicht schreiend davonlief, konnte er nicht begreifen.
»Und? Was machen wir jetzt?«, fragte er.
Michelle setzte sich auf die hintere Veranda. Sean stellte sich neben sie.
»Bist du je an den Ort zurückgekehrt, an dem du aufgewachsen bist?«, fragte sie.
»Einmal«, antwortete Sean.
»Und?«
»Große Erkenntnisse hat es nicht gebracht. Es war nur alles kleiner, als ich es in Erinnerung hatte, aber ich war ja auch deutlich größer geworden. Ich habe mir einfach das Haus angeschaut und bin dann weitergefahren.«
»Das würde ich auch gerne tun. Mir das Haus anschauen und weiterfahren.«
»Dann lass uns gehen.« Sean zog die Wagenschlüssel aus der Tasche und warf sie Michelle zu. »Die Ehre gebührt dir.«
Als sie durchs Haus zurückgingen, blieb Michelle an der Treppe stehen.
»Hör mal, du musst dich deshalb nicht quälen«, sagte Sean besorgt.
Michelle stieg die Stufen hinauf.
»Bist du dir ganz sicher?«, fragte Sean.
»Nein«, antwortete Michelle, ging aber weiter.
Sean folgte ihr.
Sie gelangten an einen großen Treppenabsatz und blieben stehen. Insgesamt vier Türen führten von hier weg, zwei auf jeder Seite.
»Die zweite war deine, ja?« Sean deutete nach rechts.
Michelle nickte.
Er wollte die Tür aufmachen, doch Michelle hielt ihn davon ab.
»Nicht.«
Sean trat einen Schritt zurück und schaute sie an. »Vielleicht sollten wir lieber gehen.«
Michelle nickte. Doch kaum hatte sie sich umgedreht, fuhr sie wieder herum, riss die Tür auf ...
... und schrie, als sie plötzlich ein Mann anstarrte.
Der Mann rannte an ihr und Sean vorbei, polterte die Stufen hinunter und huschte durch die offene Tür.
Michelle zitterte so heftig, dass Sean nicht einmal daran dachte, dem Mann hinterherzujagen. Er nahm sie in die Arme. Erst als sie sich beruhigt hatte, ließ er sie los. Sie blickten einander an. Ohne Zweifel hatten sie beide die gleiche Frage im Sinn.
Sean sprach sie als Erster aus: »Was hat dein Vater hier gemacht?«
43.
D ie Air Force One landete auf der Andrews Air Force Base, und die Piloten kehrten den Schub der vier Triebwerke um. Der Präsident saß im vorderen Teil des Flugzeugs in seiner Suite mit den beiden Betten. Unmittelbar nach der Landung flog er mit Marine One in der üblichen Hubschrauberformation weiter. Kurz nach Mitternacht würde der Helikopter mit dem Präsidenten auf dem Rasen des Weißen Hauses landen.
Dan Cox sprang die Einstiegsleiter hinunter. Er war voller Energie, als wollte er den Tag beginnen und nicht beenden. Das war typisch für ihn, zumal im Wahlkampf. Mit seiner Leidenschaft raubte er weit jüngeren Ratgebern den Atem, die sich einen Kaffee nach dem anderen hineinschütten mussten, um mit Cox Schritt halten zu können. Im Wahlkampf schien der Präsident so viel Adrenalin zu produzieren, dass er schier endlos weitermachen konnte. Und da war ja noch das Amt selbst, das einen mit mehr Energie versah als jedes andere auf der Welt. Als Präsident der Vereinigten Staaten war man Rockstar, Hollywoodstar und Sportikone in einem. Man war schlicht und ergreifend der Mensch auf Erden, der Gott am nächsten kam.
In dieser Nacht
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