Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
letzter Zeit, dir ein wenig zu schmeicheln.« Seine Augen leuchteten auf. Dunkelblau und schön.
Bérénice schluckte. War das wirklich der Mann, den sie vor zwei Nächten dabei beobachtet hatte, den Teufel zu beschwören? Der verdächtigt wurde, Gewalttaten zu begehen? Nie hatte sie sich Amédé im Krieg vorstellen können, wie er mit lautem Gebrüll von seinem Pferd herab Menschen metzelte. Stets hatte sie es unterlassen, nachzufragen, wenn er aus dem Kampf nach Hause kam. Immer war ein Stück von seiner Leichtigkeit im Feld zurückgeblieben, das hatte sie gespürt, aber nicht gewagt, daran zu rühren. Gänzlich verloren hatte er seine Leichtigkeit bei dem Überfall durch die Söldner, mit Brunos Verlust, dem Tod des jüngeren Bruders, für den er sich anscheinend die Schuld gab und den er sich nicht verzeihen konnte. Sie schaute zum Himmel hinauf. Vögel zogen ihre Bahnen vor dem hellen Blau, das mit weißen Wolkenfäden überzogen war. Ob es vielleicht noch Hoffnung gab? Dass die Dinge wieder werden konnten, wie sie einmal waren?
»Ich wollte dich etwas fragen«, unterbrach Amédé ihren Gedankengang.
Bérénice spürte, wie sich ihr Körper anspannte, sie drückte ihr Kreuz durch, bis sie aufrecht saß.
»Was würdest du davon halten, wenn ich auf Pilgerreise gehe?«
Ihr Rücken sank wieder ein Stück in sich zusammen. »Das halte ich für eine gute Idee, wohin möchtest du pilgern?«
»Ans Heilige Grab, das wäre mein Traum. Auch Santiago de Compostela könnte ich mir vorstellen.«
»Egal, wohin du pilgerst, ich bin überzeugt, dass dir das ein wenig Ruhe geben wird«, sagte Bérénice und sah nun in die Zweige des Apfelbaumes hinauf, deren Blätter sich zartgrün geöffnet hatten. Erste Blütenknospen wölbten sich, in einigen Tagen würden sie aufbrechen und sich leuchtend weiß der Sonne zuwenden. »Wann möchtest du die Reise antreten?«
»Das weiß ich noch nicht, momentan überlege ich, nach Johanni aufzubrechen.«
»Es freut mich wirklich, dass du darüber nachdenkst. Ich bin dankbar, dass du nicht stattdessen im Kampf durchs Land ziehst.«
»Du weißt, wie sehr ich König Karl verehre, aber ich könnte es nicht«, flüsterte Amédé nun, doch es klang nicht geheimniskrämerisch, sondern schlichtweg erschöpft. »Ich danke Gott, dass Ludwig sich dieser Aufgabe angenommen hat und dass der König klaglos darauf eingegangen ist. Mein Leib, an manchen Tagen ist er schwer, als wäre er in Blei gegossen. Vielleicht ändert eine Pilgerreise daran etwas.«
Er ist ein gottesfürchtiger Mann, ich kenne ihn doch. Das müssen alles Irrtümer sein, ein schlechter Einfluss falscher Männer, dachte Bérénice und spürte einen Funken Hoffnung, dass sich die Dinge wieder zum Guten wenden würden.
Kein Rauch ohne Feuer. Er hat den Teufel beschworen, er ist von Gott abgefallen, daran gibt es nichts zu rütteln. Auch wenn du es verdrängen willst, er hat es getan. Das gemeinsame Leben, das ihr einst geführt habt, ist längst verloren gegangen,und du wirst es nie wiederbekommen, ertönte eine gehässige Stimme in ihrem Kopf. Bérénice erhob sich. »Komm, lass uns zurückgehen, ich habe Hunger«, sagte sie, eine Spur zu laut, um die Stimme in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen.
Saint Mourelles
D ie Einfachheit der Landpfarrei in Saint Mourelles verursachte in Julien einen Zwiespalt. Er mochte Pfarrer Jeunet und glaubte, dass sein ausgeglichenes Naturell die Stimmung in der Gemeinde prägte, andererseits stießen ihn die kargen Lebensbedingungen ab. Die Enge, die Kälte, das abgenutzte Mobiliar. Der seltsame Geruch, der sich aus schal gewordenen Küchendünsten und Kaminrauch zusammensetzte und in der Kleidung haften blieb, wenn man die Pfarrei verließ. Ein augenfälliger Gegensatz zum Bischofspalast, der mit seinem Reichtum prangte: Stein und Marmor, Glas und großzügige, lichte Räume. Aber auch das Leben im Dorf, die zurückhaltenden Bauern, die windschiefen Holzhütten, die Stille und der ständige Geruch nach Tierdung waren ihm unangenehm.
Stets fühlte er sich fehl am Platze, wenn er mit seinem prächtigen Pferd über den schlammigen Hauptweg zur Pfarrei ritt. Paris und Bologna hatten ihn geprägt, und während er die Zügel lockerte, um schneller die Pfarrei zu erreichen, begriff er, wie sehr er sich inzwischen an das durchaus vergleichbare Leben in Nantes gewöhnt hatte. An das quirlige Treiben in den engen Gassen, an die farbig gehaltenen Häuser mit ihrem kunstvollen Fachwerk, in denen alles, was
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