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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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Haus.«
    Hat sie, was mich betrifft, etwa einen sechsten Sinn, das intuitive Bedürfnis, den Platz ihrer Mum zu beschützen?
    »Vielleicht sollte ich lieber gehen«, schlage ich William vor. »Sie will mich ganz offensichtlich nicht dabeihaben.«
    »Nein«, antwortet er laut genug und mit stählerner Stimme, sodass sie es auch hört. »Sie hat einfach nur ihre Manieren vergessen.«
    Das wirkt wie ein rotes Tuch. Madeline reißt das Handschuhfach auf, nimmt den Inhalt und wirft diesen mit zornesrotem Kopf auf die Straße. »So, da war’s«, sagt William und hebt sie aus ihrem Sitz, indem er ihre Arme seitlich an ihren Körper drückt. »Du entschuldigst dich jetzt«, befiehlt er ihr zornentbrannt. Madeline windet sich und kreischt, sie stampft mit ihren roten Schnallenschuhen auf das Pflaster. Ich ertrage es nicht: Ihre Wut wirkt so gerechtfertigt, so verständlich, dass ich am liebsten mitgeschrien hätte. Es wäre sicherlich das Beste, den Rückzug anzutreten und sie in Ruhe zu lassen, aber stattdessen gehe ich in die Hocke, damit ich mit ihr auf Augenhöhe bin. Ich tue das rein instinktiv und habe keine Ahnung, was ich dort unten machen soll. Ich schlucke meine Angst hinunter und sage mir, dass es doch lächerlich wäre, mich von einer Siebenjährigen einschüchtern zu lassen.
    »Was ist mit dem Schloss?«, frage ich sie, obwohl meine Stimme kaum ihre Schreie übertönt.
    »Ich möchte nicht in dieses blöde Windsor Castle«, sagt sie und dreht mir ihr wütendes Gesicht zu. »Ich war bereits in einer blöden Kirche. Da gibt es nicht mal Prinzessinnen.«
    »Und wie wär’s, wenn wir woanders hingingen?«, entgegne ich.
    »Mit dir?«, fragt sie verächtlich. Es kostet mich alle Selbstkontrolle, nicht abzuhauen.
    »Wenn du mich mitkommen lässt.«
    Sie hält inne und mustert mich, als wären wir zwei Cowboys, die sich in einem Wild West Saloon gegenüberstehen.
    »Wo wäre das denn?«
    Ich denke angestrengt nach. Was läge nah genug und würde genug Spaß machen, um den bisher so schlimmen Tag noch zu retten?
    »Brighton! Dort gibt es ein Pier und einen Strand und Karussells. Und wir können uns Donuts machen lassen. Die sind richtig lecker, und ich kann keine ganze Tüte allein essen.«
    Ich liebe diese Donuts. Selbst jetzt noch springen James und ich manchmal in den Zug und vertreiben uns dort den Tag. Ich blicke hoch zu seinem Fenster, vor dem die Vorhänge noch zugezogen sind. Madeline hat noch nicht geantwortet.
    »Das möchte ich machen«, lenkt sie endlich ein und sieht mich aus schmalen Augen an, »solange es dort kein dummes, langweiliges Schloss gibt.«
    »Gut!«, entgegne ich, richte mich auf und strahle William an, doch meine Selbstzufriedenheit schmilzt dahin, als ich seinem eisigen Blick begegne. »Tut mir leid …«, sage ich verunsichert.
    »Ich weiß deine Bemühungen zu schätzen, aber es wäre mir lieber, du würdest mir die Erziehung meiner Tochter überlassen«, zischt er mir kurz angebunden zu, bevor er Madeline in ihrem Autositz festschnallt. Ich stehe betroffen daneben und bin kurz davor, wieder ins Haus zurückzulaufen und alles hinzuschmeißen. Er hat recht: Ich hätte das bedenken müssen, habe stattdessen jedoch nur reagiert und seine Autorität untergraben – schließlich weiß ich nicht, wie der Alltag abläuft oder was ihrem Wutanfall vorangegangen war –, und er ist derjenige, der die schwierige Aufgabe als alleinerziehender Vater meistern muss. Außerdem muss ich mir vor Augen halten, dass Sally zwar nun ihre Mutterrolle nicht mehr ausüben kann, sie mich allerdings nicht als ihre Nachfolgerin bestimmt hat.
    Er nimmt hinter dem Steuer Platz, und ich werfe einen verstohlenen Blick auf Madeline, die an ihrem Daumen lutscht und plötzlich viel jünger wirkt, als sie ist. Ich bedauere es nicht, vermittele ich ihm schweigend und hoffe, dass die Botschaft bei ihm ankommt. Aber nichts deutet darauf hin: Seine Hände umklammern steif das Lenkrad, seine Augen sind auf den Rückspiegel gerichtet, die Ader an seiner Schläfe pocht weiter unter seiner zarten, blassen Haut.
    Meine Begeisterung für Brighton reicht zurück bis auf jenes erste Mal, als James mich zu meinem achtzehnten Geburtstag dort hinbrachte – ich liebe den Geruch des Meeres, liebe die schwindelerregenden Karussellfahrten am Pier, liebe sogar den unromantischen Kieselstrand. Wir parken in einem großen Parkhochhaus am Strand, und ich steige aus und weigere mich störrisch, irgendwelche Vorschläge zu machen. William hat sich

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