Seit jenem Tag
während der Fahrt verdächtig höflich verhalten und in mir ein Maß an Unmut freigesetzt, das sich auch gegen mich selbst richtet. Was wohl daran liegt, dass es bei diesem Unmut nicht allein um die Ereignisse der vergangenen Stunde geht, sondern um das, was er nicht für mich sein kann, eine Tatsache, die zu akzeptieren ich noch immer Mühe habe. Er hat für Madeline eine Enid-Blyton-Kassette eingelegt, die uns wenigstens übermäßige Konversation erspart hat.
»Ich habe Hunger«, verkündet Madeline. »Und ich hätte gern einen Hamburger zum Essen.«
Sie weiß, dass sie die Oberhand hat, selbst ein Trottel wie ich, der keine eigenen Kinder hat, erkennt das. William willigt ein und wendet sich dann an mich.
»Kannst du irgendwas vorschlagen? Du scheinst hier die Expertin zu sein.«
»Da fallen mir mehrere Möglichkeiten ein«, sage ich an Madeline gewandt und führe sie in Richtung Lanes, das schmale Gassengewirr, und schäme mich gleich darauf dafür. Das Letzte, was Madeline braucht, sind Erwachsene, die lautlose Giftpfeile aufeinander abschießen – wer weiß, wie viel sie davon bisher schon aushalten musste? »Bist du schon mal hier gewesen?«, frage ich William so munter, wie es mir möglich ist.
»Ich glaube, ich hab mir mal die Universität angesehen, aber dann habe ich mich am Ende doch für Durham entschieden.«
Manchmal hört William sich an, als wäre er steinalt. Vielleicht ist das ja gut so. Vielleicht reicht es ja, um ihn lächerlich zu finden, sodass ich mich hingebungsvoll der Aufgabe widmen kann, die beste Patin der Welt zu werden und ihn einer wie auch immer gearteten grässlichen Parade von höheren Töchtern zu überlassen, die Trixie aus ihrem Adressbuch schüttelt. Aber sobald sich dieser Gedanke manifestiert, erzählt mir mein Körper bereits eine andere Geschichte und erinnert mich daran, wie es sich angefühlt hat, in dem schmalen Bett an ihn gedrückt zu liegen. Ich sehe ihn an und versuche zu erspüren, ob das Wiedersehen mit mir auch bei ihm diese Erinnerung geweckt hat, doch er ist in ein ernsthaftes Gespräch mit Madeline über den Dalmatiner auf der anderen Straßenseite vertieft. Normalerweise erkenne ich, ob jemand mich zu viel oder zu wenig liebt, aber er strahlt jene distanzierte Stattlichkeit aus, die das Haus seiner Eltern hatte.
»So, da wären wir«, sage ich und bleibe vor einer Filiale der Restaurantkette Browns stehen.
»Ausgezeichnete Wahl«, meint William. Wir drei gehen hinein, und jeder würde uns für eine richtige kleine Familie halten. Madeline verspeist glücklich ihren Hamburger und plaudert mit uns beiden, als hätten wir uns ihren Wutausbruch nur eingebildet. »Was war denn los?«, erkundige ich mich leise bei William, während sie die Nachtischkarte studiert. Ein wenig Angst habe ich noch immer vor ihr, als wäre sie eine Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen kann und deren Sprengsatz nicht sichtbar ist. Er zuckt mit düsterer Miene die Achseln.
»Ich weiß es nicht, Livvy. Nimm es bitte nicht persönlich. Solche Vorfälle hat es in letzter Zeit regelmäßig gegeben.«
Wie konnte ich auf seinen Umgang damit nur so voreingenommen reagieren? Ich streife für einen kurzen Moment seine Hand, und er greift unter den Tisch und verschränkt seine Finger mit meinen und drückt sie so fest, dass die Wärme sich in meinem ganzen Körper ausbreitet. Ich sehe ihn an und wende mich dann ab, weil ich mich ihm einen Augenblick lang so nah fühle, dass es all meiner Zurückhaltung bedarf, nicht meine Hand auszustrecken und sein Gesicht zu streicheln.
»Pommes?«, fragt er und nickt Richtung Teller. Dabei lächelt er mich breit an.
»Danke«, sage ich, nehme mir eine und lächele zurück.
»Ich möchte einen Schokobrownie«, verkündet Madeline und sticht mit ihrem Finger auf die Speisekarte. »Und danach Donuts«, sagt sie an mich gewandt.
»Ist das okay?«, frage ich William.
»Ausnahmsweise.«
Der Tag wird am Ende dann doch ganz schön. Ich sage doch, weil jede Sekunde überschattet ist von Sallys schrecklicher Abwesenheit, mit der die beiden – nein, wir drei – umzugehen versuchen, ohne uns vom Gewicht ihres Verlust niederdrücken zu lassen. Madeline gelingt dies am besten. Als ich ihr vorschlage, noch einen Tee zu trinken, erzählt sie mir, dass ihre Mummy sagte, Tee sei wie Fischpipi und sie trinke nur Kaffee. Das kann ich mir gut vorstellen: Sally mochte nur Dinge, die ihr einen Kick gaben. Als die Kleine William fragt, ob wir Geisterbahn fahren
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