Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
liebsten hätte ich mir meinen Bela geholt und die tausend Mark am Meer verjubelt.
    Es war traurig, daß ich in Frankfurt gar keine Freunde, ja nicht einmal gute Bekannte hatte. Insofern freute ich mich über die Einladung von Bernd Koppenfeld, dem Direktor der Volkshochschule. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen und seiner Sekretärin Monika lud er mich zum Grillen in seinen Schrebergarten ein. Er wohnte im Süden Frankfurts in Oberrad und besaß ein Gärtchen am Mainufer, wo er Erdbeeren und Salat anbaute.
    Es war eine rechte Idylle: Wir saßen im Halbschatten auf der Terrasse und bewunderten höflich die Blumenpracht.
    Die Kinder spielten mit einem zahmen Frettchen, seine Frau hatte Zwetschgenkuchen gebacken. Im übrigen unterhielt sie sich vorzugsweise mit Monika über Bioleks Kochrezepte und überwundene Krankheiten.
    Nach dem Kaffeetrinken machten wir einen Spaziergang zur berühmten Gerbermühle, wo im neunzehnten Jahrhundert Marianne von Willemer in ihrer Sommerfrische vom alten Goethe besucht wurde. Bernd, als Germanist ganz in seinem Element, sprach gern über diese bezaubernde Frau und zitierte ein Gedicht aus dem Westöstlichen Diwan. Marianne hatte es verfaßt, aber Goethe verschwieg die wahre Urheberschaft zeit seines Lebens.
    Als die Kolleginnen zur Weinschorle übergingen, wurde gefachsimpelt.
    Ich fühlte mich wie eine Hochstaplerin, weil ich das Wort >Curriculum< noch nie gehört hatte und mir unter >strukturbezogener Sprachdidaktik< kaum etwas vorstellen konnte; mir wurde erst wohler, als mich die beiden Kinder zum Käfig des Frettchens entführten, um mich ausgiebig über dessen wundersame Eigenschaften zu belehren.
    Das Frettchen hieß Fred und sei klüger als ein Hund.
    »Oder kennst du ein anderes Tier, das sich abends ganz allein mit einem Badelaken zudeckt?« fragte mich der Junge.
    Das Mädchen erzählte, Fred könne sich so dünn machen, daß er in eine Schublade, die nur fingerbreit aufgezogen sei, hineinschlüpfe. »Und wenn du nicht aufpaßt«, sagte es mit funkelnden Augen, »dann versteckt Fred sein Hackfleisch in deinen Unterhosen!«
    Schließlich durfte ich das Wundertier streicheln, und es biß mir kräftig in die Hand.
    Nach der Verarztung hatte ich keine Lust mehr, am Familienleben teilzunehmen, obwohl gerade die Holzkohle für den Grill entzündet wurde.
    »Hast du auch Kinder?« fragte mich Bernd Koppenfelds Tochter.
    Ich nickte und beschloß, Bela so bald wie möglich abzuholen.
    Als angehende Lehrerin hatte ich vielleicht eine Chance, die potentielle Freundin von Jonas ins Aus zu befördern.
    Kam ein Leben wie das der netten Koppenfelds auch für mich in Betracht? Ein Häuschen im Grünen, zwei Kinder, ein Haustier? Was wollte ich wirklich? Bindung oder Freiheit? Abenteuer oder Sicherheit?
    Im Augenblick genoß ich die Freiheit. Es war früher Abend, noch warm und hell; ich beschloß, einen Bummel durch die Stadt zu machen, obwohl mich die geflochtenen Sandalen der Ethnologin seit Stunden drückten. Ich setzte mich in ein Straßencafe und bestellte einen kleinen Becher gemischtes Eis ohne Sahne, denn nach drei Kuchenstücken bei Koppenfelds war ich nicht direkt hungrig. Auf einem solchen zentralen Platz tranken Hunderte von Touristen ihren Dämmerschoppen und plauderten in unterschiedlichen Sprachen; falls sie schlau waren, trieben sich auch viele Taschendiebe hier herum, mutmaßte ich und sah mich mit Kennermiene um. Immer wieder beobachtete ich die Unsitte mancher Frauen, ihre Handtasche lässig über die Stuhllehne zu hängen. Was Wunder, wenn sie beim Aufbruch einen Schreckensschrei ausstießen! Mindestens zwei schwarze Taschen in meiner unmittelbaren Nähe hätte ich gefahrlos abstreifen und mitnehmen können. Mein professioneller Blick glitt zu den Nachbartischen und kontrollierte jede Frau, wie und wo sie ihre Handtasche während des Essens baumeln ließ.
    Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich ganz in der Nähe Kathrins Mann entdeckte. Ich ließ mir nichts anmerken und setzte lediglich - bloß keine hektischen Bewegungen - meine Sonnenbrille auf. Erik war nicht allein.
    Neben ihm saß, wenn mich nicht alle Sinne täuschten, die kleine Thailänderin mit ihrem ekligen Mann, die neulich Kathrins Sprechstunde aufgesucht hatte. An Eriks linker Seite thronte eine schlecht gefärbte Blondine. Fehlte eigentlich nur noch der Zuhälter aus Groß Gerau, aber der war ja wohl eine Schimäre.
    Würde mich Erik wiedererkennen? Wir waren uns damals nur kurz auf der Treppe seines Hauses

Weitere Kostenlose Bücher