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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Fragen nach Cora, die ich nur vage beantwortete. Ich hätte ein etwas wunderliches Anliegen, sagte ich, ob ich ihnen drei Bilder zur Aufbewahrung schicken lassen könne?
    »...von Cora gemalt, nicht wahr?« erkundigte sich ihr Vater hoffnungsvoll.
    »Nein, von meinem Papa geerbt«, log ich. »Es geht bloß darum, diese Schinken eine Weile an einem trockenen Plätzchen zu lagern, ich werde sie abholen, sobald ich mal wieder in Deutschland bin. Bei dieser Gelegenheit werde ich Ihnen meinen Kleinen präsentieren, und Sie werden sich wundern, wie Bela gewachsen ist.«
    Selbstverständlich, man habe genug Platz auf dem Speicher, sagte Coras Vater.
    Daraufhin bestellte ich unverzüglich den Parcel Service, wickelte die Bilder erst in Zeitungspapier und dann in Kopfkissenbezüge mit Paisley-Muster (die Ethnologin hatte von ihren Auslandsaufenthalten stets etwas Nettes mitgebracht) und übergab sie zwei Stunden später einem Mann im rehbraunen Overall. Als Absender erfand ich eine Galerie in Bremen.
    Als ich dieses Problem relativ elegant gelöst hatte, versuchte ich - einmal in Fahrt gekommen - Jonas zu erreichen. Er war mit Bela auf dem Feld, aber meine Schwiegermutter verhielt sich diesmal aufgeschlossen und gesprächig, ohne mir mit direkten Vorwürfen zuzusetzen. Es gehe meinem Sohn ganz prächtig, er habe rote Backen bekommen und vespere jeden Nachmittag voller Appetit eine große Scheibe Schwarzbrot mit Blut- oder Leberwurst. Allmählich frage er auch gar nicht mehr nach Nudeln. Außerdem gebe es zur Zeit junge Kätzchen in der Scheune, das sei doch die reinste Wonne für ein Kind. Im Grunde sei der Junge hier auf dem Hof sehr gut aufgehoben, ich solle mir keine Sorgen machen, sondern eher einmal überlegen, ob es nicht für alle Teile besser...
    Als ich bei diesen Worten aufschluchzen mußte, tat ich der guten Frau leid. »Ich mein' ja nur«, sagte sie und verabschiedete sich, da sie gerade Pflaumenmus einkochte. Um auf andere Gedanken zu kommen, nahm ich Kathrins Lehrbuch zur Hand und beschloß, mich für den heutigen Unterricht bestens vorzubereiten. Aber vielleicht war es noch genialer, wenn ich mich in einer anderen Volkshochschule für einen Italienischkurs anmeldete und immer erst im Anschluß an eine frisch erlernte Lektion den eigenen Schülern gegenübertrat.
    Sollte man nicht ein wenig Landeskunde in den Unterricht einbauen? Meine Rolle als Fremdenführerin in Florenz hatte ich noch parat, allerdings bloß in deutscher Sprache.
    Aber war es nicht sowieso eine einseitige Angelegenheit, wenn ich mich nur auf diese Stadt beschränkte? Ganz Italien mußte es sein! L'Italia e una penisola che ha la forma, di uno stivale... so wollte ich beginnen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
    Vor dem Schultor wurde ich von hinten angefallen, bekam blitzschnell einen Lappen oder etwas ähnlich Unappetitliches in den Mund gestopft und wurde mit rücklings gedrehten Armen in ein Auto gestoßen. Erik saß am Steuer und gab Gas, der eigentliche Angreifer war jedoch der fette Ehemann der Thailänderin.
    Nach den Angstträumen der vergangenen Nacht war es wie ein gespenstisches Deja-vu-Erlebnis. Schreien oder sprechen konnte ich nicht, zappeln half wenig. Gelähmt vor Angst nahm ich mir vor, die Doofe zu spielen und meine Kidnapper möglichst nicht zu reizen.
    Wir hielten vor Eriks Wohnung. Auf der Straße achtete kein Mensch auf eine wehrlose Frau, die mit einem Knebel im Mund von einem Gorilla zum Eingang geschleift wurde.
    Entweder sahen die Leute täglich solche Szenen im Fernsehen und hielten sie für den Normalfall, oder sie waren miese Beobachter.
    Im Wohnzimmer fesselten sie mich an Armen und Beinen, drückten mich aufs Sofa und rupften mir den Lumpen aus dem Mund. Dann begann ein fast polizeiliches Verhör: Name, Adresse, Beruf.
    Ich gab mich als gebürtige Italienerin namens Bianca Martini aus. Sie glaubten mir sicherlich nicht, aber letzten Endes ging es ihnen ohnedies nur um Kathrin Schneider.
    »Wer soll das überhaupt sein?« fragte ich versuchsweise.
    Inzwischen hatten sie den Inhalt meiner Tasche, Lehrmaterial, Hausschlüssel und Portemonnaie, auf den Tisch gekippt.
    Erik blätterte im Schulbuch und las Kathrins Namen und die Darmstädter Adresse gleich auf der ersten Seite.
    »Ah ja, du kennst sie zwar nicht«, sagte er, »aber sie leiht dir ihr Buch und schickt dich zur Vertretung in die Volkshochschule!«
    Ich schwieg und grübelte; es gefiel mir nicht, daß Erik Schneider mich duzte.
    Mein bißchen Mut

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