Selige Witwen
heillos durcheinander. Eigentlich hätte ich ein besonders niedliches Nähkästchen mitnehmen sollen, dachte ich, und wie im Traum tauchte eine Seladonschale aus einem längst vergangenen Diebstahl vor mir auf; sicher gab es auch im Goethehaus noch so manchen Gegenstand, der sich hübsch in meine Sammlung begehrenswerter Dinge eingefügt hätte.
Ich betrat das eigentliche Museum im Nebenhaus. Am meisten hatten die heiteren Koreaner über ein Gemälde Tischbeins gekichert, das zwei Männer vor einer Felsenlandschaft darstellte. Der Maler zeigte sie in Rückenansicht, völlig nackt auf Rössern sitzend, und ließ sie ihre Beute - Adler und Löwe - hinter sich herschleifen; das Bild hieß »Die Stärke des Mannes«. Bei diesem Gedanken packte mich nackte Wut, weil man mich ähnlich wie diese stolzen Tiere eingefangen und verschleppt hatte. Ich verließ mein Gedankenmuseum.
Verzweiflung überkam mich, denn List und Tücke, Kreativität und psychologische Kriegsführung konnten gegen rohe Gewalt wenig ausrichten.
Sie werden mich töten, dachte ich immer wieder, ich werde Bela nie mehr Wiedersehen. Alles in allem war es eine glückliche Fügung, daß ich ihn zu seinem Vater gebracht hatte. Jonas würde Gerlinde heiraten, und mein Sohn hätte mich bald vergessen. Gut für ihn, traurig für mich. Ich weinte wie nie zuvor. Wenn Tränen angeblich Steine erweichen konnten, wie stand es dann mit einem Klebestreifen?
Konnte die salzige Lösung nicht wenigstens meinen Mund so weit befreien, daß ich Töne von mir geben konnte? Es war zwecklos.
Gab es ein Leben nach dem Tod? Ein Wiedersehen mit den Ehern, mit meinem Bruder? Lieber nicht, ging es mir durch den Sinn, sie waren allesamt nicht gut auf mich zu sprechen. Auch Coras toter Mann Henning hätte ein Hühnchen mit mir zu rupfen. Da mich unter Umständen ein strafender Gott in diesem Moment im Schwitzkasten hielt, fing ich auf gut Glück zu beten an und bot im Austausch für meine Errettung ein künftiges Leben als Altenpflegerin an.
Nach sechs Stunden hatte Gott tatsächlich ein Einsehen, aber ich hatte meinen Glauben an ihn längst wieder verloren.
Als ich die Tür aufgehen hörte, war ich der festen Meinung, es sei das anrückende Exekutionskommando. Mit verquollenen Augen starrte ich in die Richtung des dunklen Flurs und wurde von aufflammendem Licht geblendet. Ungläubig erkannte ich Felix und Andy, die mich an sich drückten und als erstes versuchten, das Klebeband vorsichtig von Gesicht und Haaren zu entfernen. Es schmerzte mehr, als wenn sie es mit einem Ruck abgerissen hätten. Ich weinte schon wieder und konnte vor lauter Erschöpfung auf keine ihrer Fragen antworten. Die beiden waren eine ganze Weile damit beschäftigt, die Fesseln an Armen und Beinen aufzuschneiden, mir Mineralwasser einzuflößen, mich zu streicheln und ständig zu wiederholen wird ja alles wieder gut.
Schließlich war ich selber fähig, mir aus dem Schlafzimmer ein paar Wäschestücke von Kathrin zu suchen und unter die Dusche zu gehen. Dann trank ich Schluck für Schluck eine ganze Flasche Wasser aus, ließ mir die Brandblasen an den Füßen und der Wade verbinden und streckte den beiden Jungs wie ein kleines Kind meine schmerzende Hand entgegen.
»Das ist ja abartig«, sagte Felix. »Sie haben dich also auch gebissen! Sollen wir dich zum Arzt bringen, oder willst du lieber erst mal etwas ausruhen? Jetzt stellt sich bloß die Frage, wo wir dich hinbringen sollen.«
»Nach Hause«, schluchzte ich, »in mein Bett!«
Andy und Felix blickten sich vielsagend an.
»Wunderst du dich gar nicht, daß wir hier aufgetaucht sind?« fragte Andy, der noch vor kurzem so garstig zu mir gewesen war, und strich mir liebevoll übers Haar.
Kathrin hatte bei mir im Westend angerufen. Da sie der festen Meinung war, daß niemand anderes als ich an der Strippe sein konnte, meldete sie sich mit ihrem Namen. Es kam ihr schon verdächtig vor, daß ich mit keinem Wort reagierte, als sie Eriks wohlbekannte Stimme im Hintergrund hörte: »Na endlich, das ist sie!« - der Dicke hatte, als er abnahm, den Raumlautsprecher angestellt.
In ihrer Not rief Kathrin in der WG an und erreichte glücklicherweise Felix. Ihr Mann sei während ihrer Abwesenheit in ihre Wohnung im Westend eingedrungen und habe mich in seine Gewalt gebracht, erklärte sie aufgeregt.
Er sei gemeingefährlich und habe mit Sicherheit seine Helfershelfer mitgenommen. Felix und seine Freunde mußten uns helfen, mein Leben stehe auf dem Spiel.
»Ich
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