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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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im Taxi, um mit dem Dienstwagen nicht aufzufallen. Man kann heutzutage mit einem unkomplizierten Drug-wipe-Test relativ schnell auf Drogenkonsum schließen, so ähnlich wie man einen Säufer überführt. Neulich haben sie einen Typ erwischt, der auf der Straße 100 g Heroin verkaufen wollte; in seiner Wohnung fand man aber fast 50000 DM Bargeld.
    Hatte Allerleirauh etwa auch ein paar tausend Mäuse oder gar kiloweise Koks im Futon versteckt? Um so fieser, daß sie die Miete nicht gezahlt hat! - Mir persönlich wurde übrigens schon alles angeboten, was an Stoff zu haben ist, bloß weil ich etwas längere Haare habe...«
    »Gib nicht so an, Andy, sondern bring mir nächstes Mal ein bißchen Dope mit«, sagte Max.
    Als wir am Flughafen ankamen, blieben Max und Andy mit laufendem Motor im Auto sitzen, um beim Nahen der strengen Politessen rasch eine Runde zu drehen. Da ich nach dem vielen Sekt ein Klo brauchte, stieg ich mit Felix zusammen aus. Während er zum Meeting point strebte, um seine Mutter zu treffen, lief ich eilig durch die große Halle, bis ich das bewußte Piktogramm entdeckte. Vor der Damentoilette wartete ein unangenehmer Typ, dessen Dreitagebart und Sonnenbrille mich erschreckten. Anscheinend lagen meine Nerven immer noch blank.
    Aber meine Antennen arbeiteten zuverlässig. Es sollte sich noch herausstellen, daß ich keine Halluzinationen hatte, denn beim Händewaschen wisperte ein piepsiges Stimmchen neben mir: »Hello, Miss!« Schreckhaft fuhr ich herum und sah der kleinen Thailänderin direkt in die Augen.
    Wie hatte sie sich verändert! Die artige Schülerin von damals trug jetzt high heels, die so hoch waren, daß sie bestimmt kaum laufen konnte, die langen Haare waren auf der Stirn zu Fransen drapiert. Das Goldkettchen, die auffällige Uhr, ein enger, glänzender Minirock, ein ärmelloses Top und ein grellbuntes, vorn offenes Jäckchen wiesen eindeutig auf ein Milieu hin, das mit der Volkshochschule wenig Gemeinsamkeiten hatte. War sie es wirklich? Sicherlich hatte sie sich nicht ohne Begleitung auf den Flughafen gewagt, und der kriminelle Typ vor den Toiletten war ein von ihrem Mann bestellter Aufpasser.
    »Was machst du denn hier?« fragte ich und wurde mir erst im nachhinein klar darüber, daß ich sie geduzt hatte.
    Doch sie verstand mich offenkundig sowieso nicht, und ich wiederholte meine Frage auf englisch.
    Daraufhin begann die zierliche Frau zu weinen, und ich sah ihr an, daß sie schreckliche Angst hatte.
    »Can I help you?« fragte ich mitleidig.
    Aus einem glitzernden Handtäschchen an langer Goldkette zog sie blitzschnell ein Streichholzheftchen heraus, drückte es mir wie zum Dank für meine Anteilnahme in die Hand und huschte hinaus. Ich steckte es schnell ein und wartete klopfenden Herzens eine Weile in der Geborgenheit der Frauentoilette, um sicherzugehen, daß der Mann draußen verschwunden war.
    Andy harrte im Wagen aus, hatte jedoch den rauchenden Max mit seinem hechelnden Köter vor die Tür gesetzt. »Du bist ja schon wieder weiß wie die Wand«, stellte er fest.
    »Schau mal, da naht der brave Felix mit Mama und einem Trumm von Koffer! Jetzt wird der Platz wirklich knapp.
    Und wenn morgen Cora und am Ende auch Allerleirauh bei uns kampieren wollen, wird es noch viel enger. Heute kommt nämlich auch Zilli vom Urlaub zurück!«
    Nachdem Felix seine Mutter über das Befinden der Großmutter informiert hatte, mußten wir uns eine lange Geschichte über wildfremde Mitreisende anhören, über das ungewohnte Essen auf Bali und damit verbundene Darmprobleme.
    Aber alles in allem schien diese Frau, die von ihrem Sohn Regine genannt wurde, von tatkräftiger Natur zu sein; offenbar hatte sie in ihren Ferien täglich eine Seniorengruppe zur Gymnastik gezwungen und einen holländischen Rentner vor dem Ertrinken gerettet. Bei der Schilderung dieser Heldentat kam ihr in den Sinn, sich auch nach dem Gesundheitszustand ihres Vaters zu erkundigen. »Es geht Opa nicht gerade gut«, sagte Felix, »aber Oma baut ihn immer wieder auf, singt mit ihm, rezitiert Ringelnatz oder Balladen..« Mutter und Sohn lachten in eintrachtiger Erinnerung.
    Wie immer, wenn fremde Familien einen gewissen Zusammenhalt demonstrierten, wurde ich melancholisch. Andererseits sollte ich Felix eine liebevolle Mutter gönnen, denn er hatte weder Geschwister noch engeren Kontakt zu seinem Vater.
    Regine ließ sich noch kurz von ihrem Sohn hinaufbegleiten, uns blieb nichts anderes übrig, als ergeben zu warten.
    Andy

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