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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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besetzte den frei gewordenen Vordersitz. Als ich in meiner Jacke nach einem Taschentuch für den Hundesabber wühlte, flog ein Stückchen Pappe heraus. Max hob es auf und musterte verwundert das Streichholzheftchen. »Seit wann verkehrst du in Resis Schwitzkistl?« fragte er. Ich nahm ihm das Briefchen aus der Hand und las mit Befremden die aufgedruckte Werbung einer Frankfurter Sauna.
    »Hat mir eine Thaifrau auf der Flughafentoilette zugesteckt «, sagte ich. Die beiden Männer lachten. »Entweder war sie blind oder ich bin's!« sagte Max, »ich habe dich immer für ein astreines Mädchen gehalten.« - Aus irgendeinem Grund mochte ich nicht verraten, daß die Thailänderin mutmaßlich mit dem brutalen Kawenzmann verheiratet war. Um auf ein anderes Thema zu kommen, erzählte ich Max von meinen Versuchen, mit seinem maroden Auto zu fahren: »Die Bremsen sind total im Eimer! Ich mußte mit meinem kleinen Sohn aufs Fahrrad umsteigen.«
    »Absolut«, pflichtete Andy mir bei, »Maja hat völlig recht, das kann ich bezeugen. Als ich neulich in deiner Schüssel saß, ist mir Hören und Sehen vergangen.«
    Max brummte, er hätte vor dem Urlaub keine Zeit gehabt, sich darum zu kümmern.
    »Hat die Mutter von Felix einen Beruf?« fragte ich.
    »Regine ist Krankengymnastin oder so was«, meinte Max. »Sie scheucht ihren Sohn ziemlich wild herum, aber sie hat ja auch keinen Mann... «
    Nach einer halben Stunde stieg Felix in einem blauen Batikhemd wieder ein und stöhnte: »Mein Gott, ich hab' vergessen, ihre Blumen zu gießen!«
    Wir lachten über seine Verzweiflung. Wenn seine Mutter ahnen würde, daß ihr Liebling während ihrer Abwesenheit mit seiner Kusine nach Italien entschwunden war und den heutigen Tag mit Fesseln und Entfesseln verbracht hatte, würde sie sich wahrscheinlich noch mehr aufregen.
    Als wir endlich wieder daheim in der WG waren, setzte Andy Tee- und Nudelwasser auf, Max ging mit dem Hund spazieren.
    Mir taten die Brandblasen so weh, daß ich mich in Kathrins ehemaligem Zimmer bäuchlings auf eine Matratze warf. Kaum blieb ich allein, war die Angst wieder da.
    Sollte ich mich heute nacht zu einem meiner Beschütze r flüchten? Leicht amüsiert dachte ich an die mütterliche Emilia, die mich stets vor allzu schneller Hingabe gewarnt hatte.
    Wer gleich serviert, hat später nichts zum Nachlegen, pflegte sie zu sagen.
    Schließlich hatte Felix serviert und rief zum Essen, an dem auch die mir unbekannte Zilli teilnahm. Mit meinem privilegierten Status als einzige Frau zwischen drei netten Typen war es vorbei; Zilli war jedoch keine echte Konkurrenz und wurde keineswegs hofiert.
    »Kannst du morgen bei deinem Freund pennen?« fragte Felix ohne Umschweife. »Wir erwarten nämlich noch weitere Gäste. Aber falls es dir nicht in den Kram paßt, kann ich auch bei meiner Mutter übernachten!«
    »No problem«, sagte die gutmütige Zilli, »so habe ich einen Grund, ihm mal wieder auf die Pelle zu rücken.«
    Auch in dieser Nacht kamen die Angstträume wieder, und ich flüchtete mich schließlich zu später Stunde in Andys Zimmer.
    Ich hielt es für besser, daß die anderen meine Umsiedlung nicht bemerkten. Die freundlichen Liebkosungen taten wohl, aber ich war mit meinen Gedanken nicht bei der Sache.
    Wie sollte ich mich Cora gegenüber verhalten? Wenn ich zu heulen anfinge, würde sie sich womöglich endgültig von mir abwenden. Sollte ich so tun, als ob nichts gewesen sei?
    Und warum reiste sie an? Kam sie, um mich nach Hause zu holen, weil sie es ohne mich nicht aushaken konnte, oder war es am Ende gar nicht meine Gesellschaft, die sie vermißte, sondern die ihres Vetters? Immer neue Fragen marterten meinen müden Kopf.
    Wenn Cora nun sagte: »Komm, pack deinen Krempel, wir holen Bela ab, und es geht zurück nach Italien!« - sollte ich dann widerspruchslos und freudig gehorchen oder mich bitten lassen? Und wenn sie schlimmstenfalls gar keinen Wert mehr auf meine Freundschaft legte, wo sollte ich bleiben, und wer sollte dann meine Schulden bezahlen? Schließlich weinte ich in Andys langes Haar hinein, aber er merkte es nicht, sondern schlief wie ein Murmeltier. Ich atmete den Geruch seines leicht verschwitzten T-Shirts ein und lauschte seinem leise pfeifenden Atem. Es tat gut, nicht allein zu sein, einen Körper nah an meinem zu spüren und dabei alle Probleme auf den nächsten Tag zu verschieben. Aber war einer wie Andy nicht eine Verlegenheitslösung?
    Es war noch nicht Herbst, dennoch fiel bereits gelbes Laub

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