Selige Witwen
von den Bäumen; als ich genau hinsah, löste sich ein Blatt aus dem Schwärm heraus und flog wieder himmelwärts. Es war ein Zitronenfalter. Coras Ankunft stand bevor.
Auch Felix bereitete sich auf ihren Besuch vor und ging zum Frisör. Mir gefiel er nach diesem Radikalschnitt nicht unbedingt besser, aber er hatte wahrscheinlich das Bedürfnis, seiner Kusine durch Veränderung zu imponieren. Obwohl Cora erst am Nachmittag erwartet wurde, traf sie bereits gegen 12 Uhr mittags übermüdet bei uns ein.
Um Vorwürfe abzuwenden, tat Cora so, als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen - küßte und umhalste Felix und mich, schließlich auch den überraschten Max und den verschlafenen Andy. Zu ihrem Vetter sagte sie: »Falls du dich bei den Skinheads bewerben möchtest, muß die Wolle aber ganz ab!« Dann ließ sie sich hauchdünnen Toast mit Krabbensalat und geeisten Jasmintee servieren und legte sich in mein Bett.
»Wir haben sie ja sowieso erst später erwartet«, tröstete mich Felix, aber ich sah ihm auch eine gewisse Enttäuschung an. »Wenn sie doch bloß schläft, kann ich schnell bei meiner Oma vorbeischauen; ich habe es ihr versprochen.«
Als Max auf dem Balkon eine Selbstgedrehte rauchte, gesellte ich mich zu ihm.
»Im Grunde sind alle aus unserer WG wieder zu Singles geworden«, meinte Max grüblerisch. »Kürzlich hat sich Felix von seiner Susi getrennt. Noch vor ein paar Monaten wohnte meine Freundin hier, aber... «
»Dem traue nie, der einmal Treue brach«, zitierte ich Shakespeare, und er nickte. Gab es einen einzigen Menschen, der niemals Treue brach?
Max schien meine Gedanken zu lesen und sagte: »Da lob' ich mir doch meinen Hund!«
»Von wegen! Deinen Hund mußte ich aus meinem Bett verjagen«, sagte ich. »Der läuft zu jedem, der ihn bloß einmal hinterm Ohr gekrault hat.«
Da Cora lange schlief, wurde mit dem gemeinsamen warmen Essen gewartet. Max begann stöhnend, an einer längst fälligen Hausarbeit zu schreiben, Andy ging Taxi fahren.
Von Felix kam ein Anruf: »Fangt schon mal ohne mich an, wenn ihr Hunger habt. Meinem Großvater geht es schlechter, ich muß meine Oma sofort zu ihm bringen. Drückt mir die Daumen, daß er nicht gerade heute stirbt!«
Also saß ich allein in der Küche, als Cora aufwachte.
Nach einem Schluck Kaffee wurde sie putzmunter und fackelte nicht lange. »Los, fang an zu quatschen!« rief sie.
»Und zwar ein bißchen zügig, denn ich habe dir auch etwas Aufregendes zu erzählen.«
Als ich über Kathrins Ehe mit einem sadistischen Rechtsverdreher, von meiner Tätigkeit in der Volkshochschule und dem Überfall berichten wollte, winkte sie ungeduldig ab.
»Das hat mir Felix bereits in groben Zügen geschildert. Er konnte mir allerdings nicht plausibel erklären, warum die Banditen dich überhaupt einkassiert haben! Was suchen sie bei euch? Doch nicht etwa Koks?«
Nun war meine Stunde gekommen, denn für Kunstobjekte konnte sich Cora fast noch mehr begeistern als ich.
»Wir haben Kathrins Mann vier wertvolle Bilder geklaut, die eigentlich aus einem Museum stammen. Im Grunde ist es nur gerecht, wenn sie auf diese Weise ein wenig an seinem Vermögen partizipiert, denn freiwillig rückt er sicher nichts heraus. Das brauchen meine Retter aber nicht zu wissen; die lieben Jungs sollen weiterhin an den Weihnachtsmann und die Mafia glauben.«
Cora hing geradezu an meinen Lippen. »Was für Bilder?«
fragte sie mit wachsendem Interesse.
»Ein wunderbarer Matisse, eine Radierung von Heinrich Vogeler, eine Skizze von Feuerbach. - Das Ölbild eines alpenländischen Malers aus dem neunzehnten Jahrhundert hat Kathrin bereits im Ausland verscheuert.«
Fröhlich lachend blies Cora den Rauch in die Sonnenstrahlen über der Spüle. »Chapeau!« sagte sie. »Wo ist das pfiffige Kathrinchen abgeblieben, und wo befinden sich die Bilder zur Zeit?«
»In Innsbruck und bei deinen Eltern«, sagte ich.
Cora glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Wie kannst du es wagen, meine Alten in die Sache hineinzuziehen!«
herrschte sie mich an und sah so wütend aus, daß mir ganz gegen meinen Willen die Tränen in die Augen schössen.
Tapfer kämpfte ich dagegen an.
»Außer uns beiden weiß kein Mensch, daß die Bilder in Heidelberg auf dem Speicher stehen«, sagte ich. »Deine Eltern glauben, es seien Werke meines Vaters.«
»Maja«, sagte Cora drohend, »das mußt du so schnell wie möglich in Ordnung bringen. Stell dir vor, du wirst von neuem geschnappt und gefoltert: Du hältst
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