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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Martini«, sagte ich, »vor drei Jahren haben wir uns in der Toskana kennengelernt.«
    Ihre Miene drückte Zweifel aus, aber sie ließ uns trotzdem in ein pedantisch aufgeräumtes Zimmer eintreten, in dem sie sich offensichtlich die Zeit mit Malen nach Zahlen vertrieben hatte; zum Glück schien sie allein zu leben. Auf mich wirkte die von Akne gezeichnete Polly eigentlich nicht wie eine Süchtige, sondern eher wie eine ordnungsfixierte Zwangsneurotikerin, denn sie befahl uns sofort, die Schuhe auszuziehen.
    »Was wollt ihr eigentlich von mir? Ihr seid doch nicht nur gekommen, um hier Kaffee zu trinken«, sagte unsere Gastgeberin, die allerdings nicht auf die Idee kam, schon mal Wasser aufzusetzen, »Zeugen Jehovas?«
    »Nein«, sagte Cora, »ein bißchen komplizierter, aber ich möchte keine Zeit mit Small talk verlieren, wir sind in Eile.
    Woher hattest du das Methadon? Soviel ich weiß, darf es nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden!«
    Polly wurde leichenblaß und stotterte: »Wieso? Wer seid ihr überhaupt? Wie kommst du darauf...«
    Da Cora sie so flott eingeschüchtert hatte, fiel es mir leicht, in die gleiche Kerbe zu hauen. »Woher wir es wissen, ist zweitrangig. Jedenfalls hast du den Engländer auf dem Gewissen.«
    »Es war ein Unglücksfall, kein Mord!« rief sie, aus der Fassung gebracht. »Wir haben es nicht gewollt, uns trifft keine Schuld! Er kann auch gar nicht von dem bißchen Methadon... Seid ihr etwa von der Polizei?«
    Cora wartete, bis sich die Angeklagte beruhigt hatte.
    »Wir wollen dich nicht in den Knast bringen«, sagte sie mit der gütigen Strenge einer Pastorin, »und du brauchst im Grunde keine Angst vor uns zu haben. Aber singen mußt du schon, sonst kriegst du ein Problem.«
    Polly beichtete stockend. Ihre Freundin nahm an einem Methadon-Programm teil und schluckte täglich in Gegenwart eines Sozialarbeiters die ihr zugeteilte Ration.
    Da sie sich im Lauf der Therapie stets als motiviert und diszipliniert erwiesen hatte, konnte sie ihren Betreuer überreden, ihr die nötige Menge für einen kurzen Urlaub in Italien auszuhändigen.
    Eines Nachts, als sie - wie manches Mal zuvor - zum heimlichen Schwimmen fuhren, stand der Jeep des Engländers wieder in der Garage; er selbst schien bereits im Bett zu liegen. Die beiden Frauen konnten ihr nächtliches Vergnügen jedoch nicht wie sonst genießen, weil sie ständig fürchteten, der Besitzer könnte aufwachen und sie wutentbrannt vertreiben oder gar die Polizei benachrichtigen.
    Pollys Freundin ließ sich deshalb etwas einfallen: Im Kofferraum befand sich das Methadonfläschchen. Kurz entschlossen goß sie eine geringe Dosis in eine Karaffe mit Ananassaft, die in einem gekühlten Einbauschrank neben dem Schwimmbad aufbewahrt wurde. »Wenn wir morgen wiederkommen«, sagte sie fröhlich, »dann schläft il barone wie ein Stein!«
    Als sie in der nächsten Nacht den Pool nicht abgedeckt vorfanden, glaubten sie zunächst nur an eine kleine Schlamperei, dann entdeckten sie den treibenden Körper und versuchten in Panik, alles zu vertuschen, indem sie den Schalter für die Überdachung bedienten.
    Wir hörten uns diese zwar glaubwürdige, aber doch recht merkwürdige Geschichte aufmerksam an.
    Schließlich sagte Cora: »Wegen Mordes wird man euch wahrscheinlich nicht verurteilen, aber ein paar Jährchen Strafvollzug könnten durchaus herausspringen. Unser Schweigen hat seinen Preis, wie du dir vielleicht denken kannst. Die jetzige Besitzerin der Villa ist eine amerikanische Lady. Was einen Engländer umgehauen hat, wird mit etwas Glück auch bei einer Amerikanerin funktionieren.
    Also: same procedure! Wenn es klappt, kriegst du sogar eine kleine Erfolgsprämie.«
    Anscheinend verstand Polly uns nicht richtig. Wie einem begriffsstutzigen Kind mußte ich ihr geduldig erklären, was Cora von ihr verlangte.
    »Ihr macht mir Spaß«, sagte sie schließlich, in hohem Maße beleidigt, »ich bin doch keine Killerin! Kommt überhaupt nicht in die Tüte!«
    Obwohl wir auf sie einredeten wie auf einen lahmen Gaul, war sie nicht zu Einsicht und Kooperation zu bewegen.
    Keine zehn Pferde brächten sie noch einmal in die Toskana.
    Außerdem hätte ein Experte ihr glaubhaft versichert, daß eine geringe Menge Methadon normalerweise nicht zum Tode führen könne. Im Fall des Engländers handele es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände, weil er bei erhöhter sportlicher Anstrengung wohl einen Kreislaufkollaps erlitten habe. Die Amerikanerin

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