Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
keinen Grund, euch davon zu berichten, ihr könntet es nicht einmal verstehen.“
„Ich würde gerne selbst entscheiden, was ich verstehe und was nicht“, sagte Luke mit schlecht verhülltem Spott in der Stimme.
Lukes Einwurf ignorierend, fuhr sie fort: „Fest steht, wir sind in Gefahr. In großer Gefahr. Sie wissen von unserer Anwesenheit. Ich weiß noch nicht seit wann, aber sie wissen es.“
„Von wem sprichst du?“ fragte ich. „Von Mithankor?“
Avalea nickte.
„Vielleicht kann ich euch später mehr dazu sagen. Die Mithankor sind eine nahezu perfekte Lebensform. Ihr einziges Ziel ist zu überleben, um jeden Preis.“
„Ist das nicht das Ziel jeder Lebensform?“ warf Luke lapidar ein.
„In gewissem Sinne ja. Aber ich kenne die Mithankor besser als ihr. Um zu überleben, sind sie zu allem bereit. Zu wirklich allem. Das, was wir hier sehen, ist unlogisch. Hunderte mumifizierte Mithankor auf einem Haufen ergeben keinen Sinn, versteht ihr? Nicht den geringsten Sinn. Es sei denn…“
„Es sei denn was?“ fragte ich sofort nach.
„Es sei denn, sie sind gar nicht tot“, beendete sie den Satz zögerlich.
Wie von unsichtbaren Fäden gezogen drehten sich vier Köpfe in Richtung der mumifizierten Wesen, die bewegungslos vor uns auf dem Boden des Gewölbes lagen. Krister, der ihnen am nächsten war, trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Was meinst du damit, nicht tot?“ Luke, wie wir alle, ließ die Augen nicht mehr von den unheimlichen Überresten. „Sie müssen tot sein, sie sind mumifiziert. Ausgetrocknet. Verdorrt.“
„Also gut, Jack, du hattest Recht“, sagte Avalea, gebannt auf die Mumien starrend. „Ich habe euch über die Mithankor nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ja, ich kenne sie, kenne sie ziemlich gut sogar. Noch vor dem Großen Krieg sind sie über die Berge nach Laurussia eingedrungen. Oder vielmehr eingeschleppt worden. Menschen und Mithankor sind schon vor Hunderten von Jahren in Berührung gekommen.“
Das waren Neuigkeiten, denen wir ein offenes Ohr entgegenbrachten. Unsere Augen waren auf Mumien gerichtet, die möglicherweise gar keine waren.
„Die Mithankor töten nicht wahllos“, fuhr Avalea fort. „Ihr Ziel ist vor allem die Arterhaltung. Finden sie in ihrem Lebensraum genügend Nahrung, vermehren sie sich hemmungslos. Das Gegenteil tritt ein, wenn die Nahrung knapp wird. In diesem Fall töten sie ihre Opfer nicht mehr, sondern pflanzen ihnen Embryonen ein, die viele Jahre unentdeckt im Körper eines Wirtes überleben können. Verbessert sich die Situation, will heißen es gibt wieder genügend zu fressen oder hat sich der Wirt in eine andere Umgebung verlagert, die bessere Lebensbedingungen verspricht, verlassen sie ihn.“
„Hundert Prozent parasitäres Verhalten“, kommentierte Luke trocken.
„Perfektes parasitäres Verhalten, mehr als hundertfünfzigprozentig“, korrigierte Avalea. „Mithankor sind jedoch mehr oder weniger standortgebunden. Sie wandern nicht großartig umher auf der Suche nach Nahrung. Nein, sie warten darauf, dass die Beute zu ihnen kommt. Ist es soweit, entwickeln sie beim Angriff unwahrscheinliche Energie, ähnlich einer Schlange, die tagelang im Sandboden vergraben liegt und auf ahnungslose Opfer wartet. Ist dies der Fall, attackieren sie mit einer Kraft, die man ihnen nicht zutraut. Ihr einziges Ziel ist zu töten. Nichts anderes leitet sie, nichts anderes ist ihnen von Bedeutung. Sie sind wie Versteinerungen, die in einem günstigen Moment zum Leben erwachen und erbarmungslos zuschlagen.“
Versteinerungen, die zum Leben erwachen und zuschlagen…
Krister entfernte sich einen weiteren Schritt von den Mumien, die Fackel dabei schützend vor sich haltend.
„Die Mithankor haben Kelvin ausgelöscht und nicht die Opreju. Kelvin war bereits entvölkert, als die Opreju die Stadt kampflos einnahmen. Große Teile der Bevölkerung flüchteten nach Norden. Die meisten davon trugen bereits den Tod in sich. Hyperion war gewarnt und wappnete sich vor der tödlichen Gefahr aus dem Süden. Alle Flüchtlinge wurden ausnahmslos getötet. Auf diese Weise gelangten lebende Mithankor-Embryonen in die Hände Hyperions. Kein leichtes Unterfangen, einen wenn auch noch unterentwickelten Organismus dieser Kategorie in die Gewalt zu bekommen. Geht sein Wirt zugrunde, muss der Embryo ihn verlassen, das ist sein verwundbarster Moment. Er leitet seine Geburt quasi selbst ein, egal ob die Lebensfähigkeit außerhalb des Wirts schon gewährleistet ist.
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